La guerre est déclarée (Das Leben gehört uns) von Valérie Donzelli. Frankreich, 2011. Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, Brigitte Sy, Elina Löwensohn, Michèle Moretti, Philippe Laudenbach, Bastien Bouillon, Anne Le Ny, Frédéric Pierrot

   Ärgerlicher, banaler Exhibitionismus oder bewundernswerter Mut – je nachdem, zu welcher Alternative man tendiert, wird dann wohl auch das jeweilige Urteil ausfallen. Ich liege der letztgenannten Variante eindeutig näher und kann folglich sagen, dass ich diesen Film außerordentlich bewegend und eindrucksvoll fand, gottlob weit weg von der augenblicklichen Inflation französischer Wohlfühlfilme, und für meinen Geschmack auch weit weg von jeglichem Kitsch, der ihm von manchen Kritikern vorgeworfen wird (zur Hölle mit den Katholiken...).

   Mann und Frau lernen sich kennen und lieben, erleben eine rauschhafte Liebe in Paris, bekommen ein Kind, Kind zeigt Auffälligkeiten, Eltern gehen zum Arzt, die Diagnose lautet Hirntumor, und von nun an beginnt ein jahrelanger, zermürbender Kampf gegen diesen Tumor, der am Ende gewonnen wird. Ein anderer Kampf aber wird verloren, denn Roméo und Juliette verlieren ihre Liebe, trennen sich nach langem, zähem Ringen, bleiben aber im Kontakt und sind ihrem Sohn Adam weiterhin liebevolle und vor allem starke Eltern.

   Wer dem Film vorhält, er dränge das Schicksal des todkranken Jungen in den Hintergrund, hat ihn einfach nicht verstanden. Natürlich gelten das gesamte Denken und Empfinden, sämtliche nur erdenkliche Energien, die Roméo und Juliette aufzubringen imstande sind, der Gesundung ihres Sohnes, sie leben jahrelang buchstäblich nur für ihn, doch im Zentrum der Geschichte steht dennoch ihre Beziehung und was Adams Erkrankung mit ihr anrichtet. Aus dem Überschwang der großen Liebe wird zunächst panische Angst, Fassungslosigkeit, dann die Entschlossenheit, alle Möglichkeiten zu nutzen, um Adam die bestmögliche medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen, und schließlich die Entschlossenheit, bis zuletzt an die Heilung zu glauben, mit dem Wissen, dass es hier tatsächlich um mehrere Jahre gehen wird. Valérie Donzelli und Jérémie Elkaïm haben hier ihre eigene Geschichte erzählt, und haben auch in der Wahl ihrer Stilmittel beträchtliche Courage erwiesen, denn wie leicht hätte hieraus eine unerträgliche Tränenoper à la Hollywood werden können oder eine Leidensgeschichte, die man ebenfalls nicht ertragen könnte, denn man muss wohl nicht selbst Kinder haben, um leicht nachvollziehen zu können, welch extrem grausames Drama sich hier abspielt, wie existentiell und tiefgehend die Erfahrung, die die beiden machen, ist. Donzelli als Regisseurin nähert sich dem Thema bemerkenswert offensiv, greift ganz tief in die große Kiste und jongliert halsbrecherisch mit unterschiedlichsten Zutaten aus den Bereichen des Liebes-, Beziehungs- und Familiendramas. Die Euphorie der Liebe wird mit überschäumender Inbrunst gefeiert, Musik und Schnitt liefern eine grandiose Montage, sogar eine Gesangseinlage darf nicht fehlen, doch mit der gleichen kompromisslosen Intensität werden später Angst, Schmerz und banges Warten bebildert. So wie Juliette kann auch die Kamera nicht ruhig mit ansehen, wie sie buchstäblich die Wände hoch geht, als ihr in Marseille eröffnet wird, woran Adam erkrankt ist, und sie hilflos und ohnmächtig darauf warten muss, dass ihre Lieben aus Paris zu ihr kommen, und auch später gibt es immer wieder Szenen, in denen höchste gefühlsmäßige Spannung einfach in kinetische Energie umgewandelt werden muss, weil sonst schlicht und ergreifend der Deckel hochfliegt. Das ist ganz großes, radikales, mitreißendes Kino, entwaffnend direkt und unmittelbar, von mir aus auch naiv, aber jederzeit auf eine gute Weise. Die Emotionen immer oben am Anschlag, Leben auf der Achterbahn, Momente der Ruhe und der Hoffnung, sogar auch mal humorvolle Momente, zu zweit oder im Kreis von Freunden und Familie dienen nur als flüchtige Überleitung zum nächsten Kapitel, zum nächsten Kampf. Das Paar selbst erlebt die gleiche Achterbahn: Erste Unstimmigkeiten und Konflikte werden abgelöst von Liebesschwüren, die dann schnell wieder vergessen scheinen angesichts der endlos langen, nerven- und kraftraubenden Strecke, an deren Ende ein ungewisser Ausgang wartet. Immer wieder raufen sich Roméo und Juliette zusammen, auch als ihre Kräfte spür- und sichtbar nachzulassen beginnen, beide scheinen genau zu wissen, was ihr Ziel ist und was der Preis sein kann, den sie möglicherweise dafür zahlen müssen. Sie geben alles, was sie haben, und am Ende bleibt ihnen nicht genug für sich selbst, und diese traurige Bilanz bleibt einfach, auch wenn Adam überlebt und tatsächlich von dem Krebs geheilt werden kann. Diese innere Stärke entgegen der Angst und der Erschöpfung wird mit einer Wucht zum Ausdruck gebracht, die ich grandios und sehr bewegend fand, auch wenn mir diese Art mentalitätsmäßig normalerweise nicht so nahe ist. Man spürt sehr stark, dass hier zwei Leute am Werke sind, die unbedingt von sich erzählen möchten, die sich noch einmal ganz hineingeben in ihr Projekt und als Schauspieler sowie Filmemacher ganze Arbeit geleistet haben. Klar bietet so ein Film reichlich Angriffspunkte, klar ergeben sich angesichts des hohen Energielevels zwangsläufig Unebenheiten und die eine oder andere etwas schwächere Sequenz. Ich mag den Film aber gerade aufgrund seiner Kompromisslosigkeit und Offenheit, mit der die beiden zu Werke gehen, was sie natürlich angreifbar und umstritten macht. Aber aus solch einer Geschichte irgendein weichgespültes Melo zu machen, wäre ganz einfach nicht in Frage gekommen, oder? (2.5.)