Habemus Papam von Nanni Moretti. Italien/Frankreich, 2011. Michel Piccoli, Nanni Moretti, Jerzy Stuhr, Renato Scarpa, Franco Graziosi, Camillo Milli, Margherita Buy

   Was für ein Szenarium: Weißer Rauch steigt auf über dem Petersplatz, die Menge jubelt in freudiger Erwartung, auf dem Balkon der schmächtige alte Knabe im Kardinalsgewand, der die berühmten Worte ins Mikrophon spricht – und dann zeigt sich der frisch Erwählte nicht, sondern ganz im Gegenteil, der kriegt plötzlich einen Schreikrampf, verlässt fluchtartig den Raum, irrt eine Zeitlang durch das große Gemäuer und nutzt am darauf folgenden Tag eine Unachtsamkeit seiner emsigen Bewacher und entkommt ihnen im Verkehrsgewirr Roms. Der eilends hinzugezogene Psychodoktor kann ihn auf die Schnelle ebenso wenig aufs richtige Gleis setzen wie sein persönlicher Berater, im Gegenteil, je mehr Leute auf ihn eindringen und ihn beschwören, seine Pflicht zu tun, desto weniger sieht er sich eben dazu in der Lage. Er irrt durch die Stadt, landet bei einer Theatergruppe, die Tschechow auf dem Plan hat, erinnert sich an seine eigene Liebe zur Bühne, wird dann bei der Premiere doch gestellt und zurück in den Vatikan bugsiert, nur um dann der staunenden Menge die Wahrheit zu sagen, nämlich dass er nicht zum Führen geschaffen sei und deshalb die Wahl nicht annehmen werde.

   Diese Geschichte hat Moretti nun ganz auf seine unnachahmliche Weise in Szene gesetzt – launig, gegen den Strich und immer voller Überraschungen. Wer eine respektlose Klamotte erwartet, wird gottseidank enttäuscht, wer sich ein sentimental-bigottes Melodram erhoffte, gottseidank auch. Natürlich geht Moretti hauptsächlich mit Humor zu Werke, bietet dabei aber eine breite Platte zwischen durchaus derberen Scherzen und sehr feiner, sehr italienischer Ironie. Das Thema ebenso wie das Milieu sind äußerst delikat und bedürfen eines rechten Maßes an Diskretion und Takt, und beidem hat sich Moretti absolut nicht verweigert, nur hat er selbstverständlich anderes im Sinn als eine brave, gefällige Komödie. Die Figur des Aussteigers Melville ist in sich noch nicht einmal besonders komisch, zumal Piccoli ihn hauptsächlich mit sehr viel Würde und Wärme als einen verunsicherten, anfänglich verwirrten und liebenswürdigen alten Herrn darstellt. Komisch ist aber durch und durch ,was seinetwegen und um ihn herum geschieht. Der PR-Manager des Vatikan reißt sich beide Beine aus, um nach außen hin den Schein einer intakten Struktur zu wahren, sogar den Kardinälen gegenüber. Er schickt einen Mann der Schweizer Garde in die Papstgemächer und weist ihn an, in regelmäßigen Abständen mit den Vorhängen zu wedeln und seinen Schatten am Fenster zu zeigen, was als Täuschungsmanöver tatsächlich lange erfolgreich ist. Während die internatonale Presse sofort ins Spekulieren gerät, flüchtet er sich, ganz der Medienprofi, in Worthülsen und Floskeln, einzig mit dem Ziel, ein wenig Zeit zu gewinnen, bis der Pontifex wieder zur Vernunft gekommen ist. Ein zweiter sehr komischer Handlungsstrang betrifft den Psychologen (gespielt von Moretti), der zu Rate gezogen wird, in Ermangelung größerer Handlungsbefugnis jedoch alsbald aufgeben muss, dennoch zum Bleiben gezwungen wird, damit ja nichts von der Krise nach draußen gerät. Er macht aus der Not eine Tugend, lamentiert lang und breit über seine gescheiterte Ehe (mit so vielen „Experten“ als Zuhörer...), reüssiert im Kartenspiel und organisiert zur allgemeinen Gaudi ein Volleyballturnier der Kontinente. Die Kardinäle werden auf wunderbare Weise ihrer feierlichen Entrücktheit entkleidet – allesamt sind sie nette ältere Herren, ein wenig steif und unbeholfen in vielen Dingen, die sich einig sind in dem innigen Wunsch, nur ja nicht zum Papst gewählt zu werden. Alle fürchten die Verantwortung, die enorme Last des Amtes und alle sind euphorisch, als es den bisher völlig unscheinbaren Melville erwischt, was sie mit einer Mischung aus tiefster Erleichterung und heimlicher Schadenfreude quittieren.

 

   So befleißigt sich Moretti hier durchaus leisen Spotts, der aber niemals bösartig oder denunziatorisch wird. Von ihm hätte man vielleicht einen bissigeren Film über den Vatikan erwarten können (oder befürchten, wenn man’s mit der Kirche hält), und es ist ganz typisch, dass er solche Erwartungen wiederum unterlaufen und einen eher milden und aufs Menschliche fokussierten Film gemacht hat. Darin allerdings ist er bestechend, mit viel Gefühl für den Moment, die leisen Töne und auch die unerwarteten Wendungen, zum Beispiel in Melvilles Wiederentdeckung des Theaters oder ähnlichem. Insgesamt ist es also eine große Freude, diesen Film zu sehen, nicht nur, aber auch wegen Piccoli, dessen beeindruckende Präsenz auch mit sagenhaften 85 noch trägt. Moretti bleibt ein schwer auszurechnender Filmemacher, und gerade das macht seinen Reiz aus. (3.1.)