Late Bloomers von Julie Gavras. Frankreich/England/Belgien, 2011. Isabella Rossellini, William Hurt, Doreen Mantle, Kate Ashfield, Leslie Phillips, Arta Dobroshi, Joanna Lumley, Simon Callow
Mary und Adam, Eltern und Großeltern seit längerem, wohlsituiert und etabliert in London, werden alt und gehen grundverschieden damit um: Mary schiebt plötzlich Panik, häuft altersgerechte Hilfsmittel und Einrichtungsgegenstände an und rüstet das eheliche Heim zur Altenwohnung um. Überall sieht sie Zeichen für den unaufhaltsamen Verfall: Sie erlebt erste Gedächtnislücken, ist bei der Wassergymnastik von hübschen, fitten, schlanken Mädels umgeben und kommt bei den Übungen kaum noch mit, in der Bahn bietet ihr ein junger Mann seinen Platz an, und im Fitnessstudio guckt ihr kein Mann mehr nach, auch als sie ein paar Blusenknöpfe mehr aufmacht und lockend mit den Hüften wedelt. Ihre Freundin ist seit Jahren Aktivistin der Grauen Panther, und von denen lässt auch Mary sich schließlich vereinnahmen – sehr zu Adams Verdruss, denn der geht den entgegengesetzten Weg, verdrängt alle Gedanken an Gebrechlichkeit, Krankheit und Rückzug aus dem Leben, und reagiert entsprechend bockig, als er, der als Architekt einst bahnbrechende Entwürfe schuf, nun ausgerechnet ein Altenpflegeheim bauen soll. Hinter dem Rücken der Geldgeber rottet er ein paar junge Nachwuchskräfte zusammen und widmet sich der Realisierung ihres Wunschprojekts. Dabei fällt auch noch eine kurz sexuelle Begegnung mit einer jungen Frau ab, die ihn allerdings eher verstört – Mary ist in einer ähnlichen Situation, auch sie lässt sich von einem jüngeren Mann umwerben, landet mit ihm im Bett, und auch sie ist alles andere als überzeugt davon, dass dies nun der Ausweg aus der Krise ist. Das Ehepaar geht vorübergehend getrennte Wege, woraufhin sich ihre drei Kinder einschalten und fieberhaft Pläne zur Wiedervereinigung entwerfen. Die sind natürlich gar nicht nötig, denn zwei Leute, die so lange zusammengelebt haben, finden selbst eine Lösung, wenn sie es nur wollen.
Julie Gavras beginn ihren Film mit einigen sehr vielversprechenden Szenen, die auf eine Komödie mit deutlich ernsten Akzenten hinzudeuten scheinen. Marys Irritation, ihre vorübergehende Desorientiertheit und ihre Beunruhigung angesichts der sich häufenden Zeichen und Erlebnisse, sicherlich auch ihre Angst vor dem Altwerden, dem Verlust von Attraktivität, Aktivität und allem anderen, wird in einigen sehr schön realisierten und gut beobachteten Momenten eingefangen. Adams entschlossene Hinwendung auf die Zukunft, sein brüskes Abblocken ihrer Fragen und Gedanken drängt sie noch stärker in diese Richtung und entfremdet die beiden zunehmend. In ihrem Zusammenspiel entwickeln Rossellini und Hurt eine großartige Chemie, sie sind als Ehepaar vollkommen glaubhaft und tragen den Film insgesamt auf sehr eindrucksvolle Weise, unterstützt von einigen ebenfalls sehr gut ausgewählten Darstellern in prägnanten Nebenrollen. Leider kann Gavras die Balance aus sanfter Komik und Ernsthaftigkeit nicht überzeugend durchhalten, oder vielleicht will sie dies auch gar nicht, denn im weiteren Verlauf entwickelt sich fast so etwas wie eine gemächliche Screwball Comedy für die reiferen Jahrgänge, wobei Hurt und Rossellini, so wie sie aussehen, nun wirklich noch nicht als alt durchgehend können. Angestachelt von der frivolen, lebenslustigen Urgroßmama, und immer wieder unbeholfen und verunsichert beäugt von den eigenen Kindern, gehen die beiden ihrer Wege, suchen förmlich eine neue Herausforderung, nur um am Schluss zu erkennen, dass sie sich natürlich niemals ernsthaft trennen wollten. Das ursprünglich angerissene Thema allerdings gerät dadurch ein wenig aus dem Blick, auch wenn es zwischendurch immer mal ein paar amüsante Episoden gibt. Das fand ich schade.
Abgesehen davon findet die Auseinandersetzung mit dem Altern und seinen Begleiterscheinungen hier auf einem Niveau statt, mit dem sich wohl die wenigsten Zuschauer identifizieren können, nämlich sozusagen auf Luxusniveau. Von wirklich existentiellen Fragen keine Spur. Das hat den Vorteil, dass sich das Gezeigte in angenehmer Distanz abspielt und jederzeit von eigenen Ängsten und Erfahrungen abgekoppelt werden kann. Wer wie ich beruflich mit Demenz in jeder Form oder auch mit den wirtschaftlichen Problemen vieler älterer Menschen zu tun hat, weiß, wovon er redet, wenn er diesen Film bei aller Sympathie bestenfalls als nett und oberflächlich wahrnimmt. Für neunzig unterhaltende Minuten reicht’s, für eine tiefer gehende oder gar zu weiteren Auseinandersetzungen führende gedankliche Anregungen wohl kaum. (11.9.)