Simon och ekarna (Simon) von Lisa Ohlin. Schweden/Dänemark/BRD, 2011. Bill Skargård, Jan Josef Liefers, Helen Sjöholm, Stefan Gödicke, Katharina Schüttler, Karl Linnertorp, Erica Löfgren, Josefin Neldén, Jonatan S. Wächter
Mehr als fünf Wochen ohne Kino – wann gab’s das wohl zuletzt? Und was sagt das über die momentane Programmauswahl...? Diese Frage heb ich mir mal bis Neujahr auf, denn man soll ja nicht zu früh unken, und vielleicht holt 2012 im letzten Drittel nach einem unsäglichen Wohlfühldurchhänger im bisherigen Sommer ja noch auf, wer weiß.
Zum Wiederbeginn jetzt mal ein Literaturfilm (oder so...) aus dem Norden, kein seichter Scheiß, das nicht, aber sicher auch nicht gerade das Kinoereignis, an das ich noch jahrelang denken werde. Eine Familiengeschichte zwischen 1939 und den frühen 50ern, eine Geschichte zwischen Krieg und Frieden, Schweden und Deutschland, Vertreibung, Ausrottung, Flucht und Exil, vor allem wohl aber eine Geschichte zum Thema Identität – woher komme ich, wohin gehöre ich, und welche Faktoren sind da maßgebend.
Simon spürt es früh, doch erst als er erfährt, dass er tatsächlich nicht der leibliche Sohn seiner vermeintlichen Eltern ist, findet er die Bestätigung dieses bislang diffusen Gefühls. Sein wirklicher Vater war ein deutscher Musiker, ein Jude, was Simon selbst wiederum näher heranrückt an die Familie Lentov, mit der er sich angefreundet hat. Lentovs, wohlhabende Juden, die sich ins schwedische Exil geflüchtet haben und von Erik, Simons Ziehvater, stets etwas missgünstig beäugt werden, denn während er und seine Frau Karin ein ländliches, einfaches Leben fristen, schwelgt Ruben Lentov in Kunst und Kultur und will aus Simon einen ganz anderen Jungen machen, als den, den Erik sich vorgestellt hatte. Simon ist sowieso schon immer ein eher verträumter, abwesender Junge, wo Erik gern einen handfesten Raufbold sähe, und Rubens Einfluss scheint ihm fatal, zumal der dann auch noch zarte Bande mit Karin anknüpft. Als spät die Wahrheit ans Licht kommt, reißt sich Simon zunächst von Erik und Karin los, später, nach Karins Tod jedoch, denkt er noch mal neu über die Frage seiner Herkunft nach.
Was also prägt uns – wer uns erzieht oder wer unsere leiblichen Eltern sind. Simon erlebt eine zunehmende Zerrissenheit, eine umfassende Entfremdung, die der Film in einigen starken Szenen sehr schön zum Ausdruck bringt. Er pendelt zwischen zwei jungen Frauen, einem kapriziösen, im Grunde aber zutiefst verstörten Mädchen, das dem KZ entkommen ist und einer eher bodenständigen schwedischen Studentin. Und er pendelt zwischen dem weltoffenen Genussleben der Lentovs und der etwas engstirnigen, dafür aber Wärme und Sicherheit spendenden Lebensweise von Erik und Karin. Diese beiden Pole bilden gleichzeitig seine eigene Persönlichkeit, und auch am Ende des Films scheint es ihm noch nicht vollständig gelungen zu sein, sie zusammen zu bringen. Um dieses eher private Drama herum passiert aber auch noch eine ganze Menge, und in seinen besten Momenten gelingt es dem Film auch, ein komplexes, sehr reichhaltiges Gesellschaftsbild zu zeichnen, die Bedrohung durch die Nazibesatzung im benachbarten Norwegen, der offen ausgetragene Antisemitismus in Schweden, die zögerliche Aufarbeitung der dunklen Zeit in den Jahren danach. Das politische äußert sich hier im Miteinander der Personen, das sich alles andere als harmonisch gestaltet und das bis zuletzt von Missverständnissen, Enttäuschungen und Verunsicherung gekennzeichnet wird. Karin und Erik versäumen es, Simon frühzeitig ins Bild zu setzen und riskieren damit, das er später empört ausbricht, als er endlich die Wahrheit erzählt bekommt. Lentov macht sich Hoffnungen auf Karin, die scheint ihm auch eine Zeitlang nachgeben zu wollen, fühlt sich letztlich aber doch immer Erik zugehörig. Und dann gibt’s da noch Simons leibliche Mutter, die sich nach ihrer frühen leidenschaftlichen Affäre mit dem Deutschen und der Schwangerschaft vollkommen aus dem Leben zurückgezogen hat und ein Leben als Eremitin fristet ohne irgendeine Zukunft für sich.
Manchmal war mir die Geschichte ein wenig zu konstruiert, und ich kann mir de n Roman dazu ganz gut ausmalen, andererseits aber bestechen die glänzende Fotografie und die ebenso starke Besetzung, und die Regie bleibt immerhin konsequent auf Kurs, stellt die Emotionen in den Mittelpunkt, wird aber ganz selten nur ein wenig seifig. Ein ernsthaftes, sehr sorgfältig gestaltetes Drama, und mir fällt just auf, dass es in diesem Jahr mal wieder den einen oder anderen Filmen droben aus dem Norden gibt. Und das an sich ist ja schon mal erfreulich. (31.7.)