Et maintenant, en va où ? (Wer weiß, wohin ?) von Nadine Labaki. Libanon/Frankreich, 2011. Layla Hakim, Nadine Labaki, Yvonne Maalouf, Antoinette Noufaily, Petra Saghbini, Caroline Nabaki, Claude Baz Moussawbaa, Julien Farhat, Ali Haidar, Mostafa Al Sakka, Sasseen Kawzally, Kevin Ahboud

   In ihren fabelhaften Debut „Caramel“ ist Nadine Labaki mit dem Krieg in ihrer Heimat verfahren, indem sie ihn einfach ausgesperrt und „private“ Geschichten von Frauen und Männern aus Beirut erzählt hat. Diesmal geht sie genau andersherum vor, stellt den Krieg ins Zentrum des Geschehens, doch widmet sie sich wiederum den verschiedenen Strategien, wie man der Gewalt, dem Fanatismus, dem Morden beikommen kann. Wie in „Caramel“ spinnt sie dazu eine feministische Fantasie, legt die aktive Rolle ganz in die Hände der Frauen, notgedrungen, denn die Männer sind wie gewohnt verbrettert, vernagelt, erstarrt in schematischem Denken, in Feindbildern und leider jederzeit bereit, auf den kleinsten Funken anzuspringen und ein großes Feuer aus Hass und Wahnsinn zu entfachen.

   Wir befinden uns in einem fiktiven, abgelegenen Dorf, einer Art Modelldorf, in dem Christen und Moslems im Frieden miteinander leben. Dieser Frieden ist jedoch höchst brüchig und extrem anfällig für Störeinflüsse, weswegen die Frauen alle Hände voll zu tun haben, um eben diese Einflüsse fernzuhalten. Dazu gehören vor allem Rundfunk und Fernsehen mit ihren täglichen Meldungen von Krieg und Gewalt zwischen den Religionen, die natürlich auch hier im Dorf sofort für Unruhe und Zorn führen würden. Leider haben sich die Jungs aber just dazu entschlossen, hoch über dem Dorf eine Empfangsantenne zu montieren, um endlich auch in den Genuss dieser bedeutenden zivilisatorischen Errungenschaft zu gelangen. Und sogleich brennt die Luft und die Frauen sie zu schnellem Handeln aufgerufen. In der akuten Not schlägt ihre Fantasie wilde Blüten: Ukrainische Prostituierte werden herangekarrt, „Glückskuchen“ mit chemischen Zusätzen gebacken und sogar der Tod eines Dorfjungen geheimgehalten, alles nur, um zu verhindern, dass sich Christen und Moslems wie überall sonst im Land an die Gurgel gehen und es noch mehr Tote gibt. Der Unglücksfall lässt sich nicht auf Dauer verheimlichen, die Chemie aber macht das Rennen, und am Schluss scheint es den Damen gelungen zu sein, das dünne Eis vorübergehend erhalten zu haben.

 

   Ein ganz großartiger Film, wie ich finde, eine in jeder Hinsicht abgrundtiefe Tragikomödie, die beide Anteile mit voller Kraft entfaltet, die mal frech, hinreißend witzig und temperamentvoll daherkommt und mal das ganze erschütternde Drama des scheinbar unlösbaren Religionskonflikts spürbar macht. Nadine Labaki geht in die Vollen, baut Musikeinlagen ein, polemisiert flapsig gegen die überkommenen patriarchalischen Strukturen, zeigt Imam und Priester mit erfrischend respektloser Modernität, macht auch vor Slapstick nicht halt, und dennoch ist ihr Film zu keiner Sekunde verharmlosend oder platt, ganz im Gegenteil. Der bittere, blutige Ernst des Hintergrunds ist immer präsent, in den Gesichtern der Frauen und Männer auf ganz verschiedene Weise allerdings!), in der beständigen Angst der Frauen vor der kleinsten Eskalation, in den Meldungen, die doch gelegentlich aus dem übrigen Land einsickern, und vor allem jedes Mal, wenn die Emotionen sich tatsächlich an Lappalien entzünden und man merkt, dass die Männer nur auf einen Anlass warten, um all ihre dumpfe, ungerichtete und unreflektierte Wut herauszulassen und auf die Mitglieder der angeblich „feindlichen“ Gruppe zu richten. Das können harmlose Kinderstreiche sein oder auch gezielte Provokationen, die Balance gleicht einem ständigen Drahtseilakt bei böigem Wind, der Friede ist papierdünn, die Luft hoch entflammbar, und Nadine Labaki findet ebenso einfache wie nachhaltig wirksame Bilder dafür. Solch ein Film kann meiner Meinung nach mehr bewirken als jedes gut gemeinte Pamphlet, denn er mischt Satire und Ernst sehr gekonnt, kommt mal scheinbar harmlos um die Ecke, um im nächsten Moment das Lachen jäh zu ersticken. Er setzt außerdem, und das finde ich am wichtigsten, ein klares Zeichen des gesunden Menschenverstandes (im buchstäblichen Sinn des Wortes) gegen kriegerischen Wahnsinn, abgrundtiefe Dummheit und religiösen Fanatismus und ist damit im besten Sinne ein sehr politischer und sehr engagierter Film. Dass er vordergründig „nur“ eine Utopie darstellt, sollte man nicht unterschätzen, denn er will damit vor allem anregen, provozieren, und was mich betrifft ist ihm dies allerbestens gelungen. Ganz großes Kino aus Nahost einmal mehr – aber Frieden gibt’s dort deswegen noch lange nicht... (10.4.)