45 minutes to Ramallah von Ali Samadi Ahadi. BRD, 2013. Karim Saleh, Navid Akhavan, Julie Engelbrecht, Jackie Sawiris, Suzan Demircan, Payam Madjlessi, Eyas Younis, Ed Ward
Nicht zum ersten Mal sieht man so was, und hoffentlich nicht zum letzten Mal, dass sich Künstler und Kulturschaffende angesichts menschlichen Irrsinns keinen anderen Rat mehr wissen, als sich in tiefschwarzen Humor zu flüchten. Der trägt seinen Namen nicht umsonst, denn die Farbe schwarz, die ihn bezeichnet, symbolisiert halt auch Trauer, und eben diese Trauer schwingt auch im Gelächter bringt. Was bleibt auch anderes zu tun? Die Bestie Mensch wütet unaufhaltsam, ein Einlenken, ein Umdenken, eine Umkehr zu friedlichem Miteinander sind nicht abzusehen (und vielfach auch gar nicht gewollt), eine rationale Betrachtung der Dinge würde lediglich blanke Verzweiflung hervorrufen, also kann man den ganzen Wahnsinn ebenso gut in eine Komödie gießen.
„45 Minuten bis Ramallah“ ist sicherlich der ausuferndste, drastischste Vorstoß in diese Richtung bislang, eine ziemlich abgedrehte Mischung aus Familiendrama und Roadmovie, im weitesten Sinn ein Film über Grenzen verschiedener Art und wie man sie spielend zu überwinden lernt. Eine Hochzeit in Jerusalem wird unversehens zur Bühne für einen handfesten Bruder-, sowie Vater-und-Sohn-Zwist, der jäh damit endet, dass Pappi überraschend den Löffel abgibt und all seine Lieben ein letztes Mal brüskiert. Der ganze Spaß geht aber eigentlich erst damit los, dass Mami darauf besteht, ihn wunschgemäß in seiner Heimat Ramallah bestatten zu lassen. Ramallah liegt zwar nur einen Steinwurf von Jerusalem entfernt, in Wirklichkeit liegen aber unüberwindliche Welten dazwischen. Ausgerechnet die zerstrittenen Brüder müssen den Leichnam nun über die Grenze schmuggeln ins Westjordanland, zwei gebürtige Araber mit israelischen Pässen, und obwohl die beiden schon genug damit zu tun haben, ihre Differenzen irgendwie zu regeln, liegen die wirklichen Schwierigkeiten erst noch vor ihnen...
Wie genau die aussehen, soll man nicht beschreiben, das soll man miterleben und genießen. Der Weg bis zum Friedhof von Ramallah ist lang und steinig, die Anfechtungen mannigfaltig, doch am Ende steht die familiäre Aussöhnung, die Zusammenführung eines unfreiwillig tagelang getrennten, frisch vermählten Ehepaares und die Zusammenführung eines neuen Paares, das sich alsbald zurück nach Hamburg aufmacht, wo der eine der beiden Söhne bereits seit Jahren lebt und arbeitet. Er geht zwar zurück, richtet aber zuletzt eine warme, tief empfundene Liebeserklärung ans Publikum, denn immerhin hat er doch erkannt, wo sein wirkliches Zuhause, seine Heimat ist.
Und die sieht so aus: Wahnsinn, Fanatismus, Hass, Gewalt, Polizeiterror, Grenzschikanen, Korruption, Selbstmordattentate, verfeindete extremistische Organisationen, Folter, Mord, Hinrichtungen, mafiöse Kriminalität in Hülle und Fülle. Neben den hauptamtlichen Gegnern mischen nämlich noch ein paar andere Ethnien mit, beispielsweise die mittlerweile offenbar allgegenwärtigen Russen, die sich das allgemeine Chaos zunutze gemacht und einen florierenden Handel mit Drogen und gestohlenen Gütern jeglicher Art etabliert haben. Rafik und Jamal geraten voll zwischen alle erdenklichen Fronten, haben mehrmals bereits mit ihrem Leben abgeschlossen, stolpern von einer irren Situation geradewegs in die nächste, wissen längst nicht mehr, wie ihnen geschieht, verlieren auch zunehmend den Überblick, in wessen Gewalt sie sich gerade befinden. Uns geht es natürlich nicht viel anders, aber die Botschaft kapieren wir durchaus. Wer hier im recht ist oder im Unrecht, wer Täter ist und wer Opfer, wer der Aggressor ist, wer schuld an allem ist, wer welche Ziele und Interessen hat, weiß keiner mehr, spielt längst keine Rolle mehr, denn wie in vielen anderen ähnlichen Konflikten hat sich der Mechanismus lange schon verselbständigt und wird von jenen unter Dampf gehalten, die allein durch ihn existieren und für die Frieden die größtmöglicher Bedrohung darstellt. Man kann darüber mit aller Berechtigung in tiefe Trauer verfallen, man kann aber auch gelegentlich anders damit umgehen, so wie hier nachdrücklich bewiesen wird: Deftiger, turbulenter, bisweilen köstlich makaberer Slapstick begleitet die beiden Brüder auf ihre Reise durch die Finsternis, dennoch können wir natürlich nicht anders, als immer wieder die bittere Realität hinter dem grotesken Spektakel zu sehen. Diesem Film vorzuwerfen, er treibe unverantwortlichen Schabernack mit dem Leid einer ganzen Region, hieße meiner Meinung nach, ihn nicht richtig zu verstehen, denn der Humor, ob man ihm rein geschmacklich folgen kann oder nicht, entspringt gerade aus einem Gefühl für das Leid der Region, lediglich die Art der Verarbeitung ist etwas anders als in anderen „seriöseren“ Werken. Sehr wahrscheinlich sehen Leute aus Israel oder Palästina den Film noch mit ganz anderen Augen. Mir hat er einerseits sehr viel Spaß gemacht, und andererseits auch wieder gar nicht – und weil er genau diese Balance erzeugt und hält, hat er seine Sache gut gemacht, finde ich. (18.12.)