Beasts of the southern wild von Benh Zeitlin. USA, 2012. Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly, Lowell Landes, Pamela Harper, Gina Montana, Amber Henry

   Ich mag US-Independentproduktionen besonders gern, wenn sie uns das Land mal von einer ganz anderen Seite zeigen, Bilder wirklich von Land und Leuten, ohne die viel zu oft gesehenen Fassaden von L.A. oder NYC oder die ewig gleiche Hollywood-Kunstwelt. Roadmovies eignen sich gewöhnlich gut dafür, aber auch spezifisch lokale Filme, wie dieser hier. Eine Hommage an die Cajuns aus dem Delta in Louisiana, ein Haufen skurriler Gestalten, die in Sichtweite und dennoch fernab der stinkenden Raffinerien und tristen Städte mitten im Bayou leben, an einem Ort, den sie „Bathtub“ nennen, vor allem wohl, weil er mit schöner Regelmäßigkeit vom Hochwasser besucht wird und entsprechend aussieht. Ein Haufen abgerissener Bretterbuden mit leckenden Wellblechdächern, Trampelpfaden im Wald oder provisorischen Holzstegen zwischen den Behausungen, was aber auch keine Rolle spielt, denn das Leben findet sowieso überwiegend zu Wasser statt. Gesundheits- und Jugendamt fielen vermutlich in Ohnmacht, wenn sie der Verhältnisse ansichtig würden, aber den Leuten geht’s gut. Sie haben einen ausgeprägten Eigen- und Gemeinschaftssinn, halten stoisch aus, wenn das Wasser mal wieder kommt, verachten die domestizierten Idioten drüben jenseits des Deichs, die ständig in Angst vor dem Fluss leben und auch noch in Plastik verpackten Fisch essen, statt ihn frisch und direkt aus dem Wasser zu ziehen und verbringen ihre Zeit gern damit, zu feiern, zu trinken und ordentlich zu schlemmen. Die sechsjährige Hushpuppy ist eine von ihnen, ein struppiger, sperriger Feger mit wilder Zottelmähne, trotzigem Blick und einem allein erziehenden Vater, der sich trotz seiner schweren Herzkrankheit bemüht, aus der Tochter ein starkes, selbstbewusstes Mädchen zu machen. Und das schafft er bis zu seinem Tod auch. Sie sucht zwar vergeblich nach der Mutter, kommt jedoch rechtzeitig zurück, um ihn zu begleiten und zu beerdigen, und er kann in der ruhigen Gewissheit gehen, dass sie in seinem Sinne weiter in Bathtub leben wird.

   Diese Hushpuppy ist ein uriger, toller Typ (genau wie die Darstellerin!), und sie erzählt uns ihre Geschichte. Erzählt vom Alltag im Schwemmland, wo es Hühnchen, Alligator und Krustentiere in jeder Form und Größe gibt, wo der Ton mal rau, mal herzlich ist, wo auch schon mal die Fetzen fliegen, wo man sich aber im Ernstfall immer gegenseitig hilft und füreinander da ist. Hushpuppy vermisst ihre Mutter sehr und macht sich außerdem sehr viele Gedanken über den Lauf der Welt im allgemeinen, und weil sie ein ebenso aufgewecktes wie überaus fantasiebegabtes Kind ist und von ihrem Vater zu einem kritisch denkenden Geist erzogen wird, nehmen ihre Sorgen und Befürchtungen gern auch mal sehr konkrete und grafische Formen an. Am meisten fürchtet sie riesige, urzeitliche Auerochsen, die durch die Eisschmelze zu neuem Leben erwachen und die Menschen bedrohen. Am Ende ist die Herde tatsächlich im Delta angekommen, doch Hushpuppy stellt sich den Viechern entschlossen entgegen und unter ihrem bösen Blick gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie. Nachdem sie so ihre eigenen Ängste gezähmt hat, kann sie daran gehen, ihren Vater nach dessen Wunsch auf dem Wasser zu bestatten, in einem brennenden Boot, das eigentlich eher ein Autowrack ist. Hushpuppy nimmt das Leben sehr ernst, nimmt auch den Auftrag ihres Vaters sehr ernst und sein Vorbild, das ihr einschärft, frei und stark zu sein und so zu leben, wie sie es will. Folgerichtig bricht auch die ganze Bathtub-Bande wieder aus, als die Regierung anlässlich des großen Sturms eine Art Zwangsevakuierung veranlasst und die Nachbarschaft vorübergehend in ein Zeltcamp pfercht, wo es nur Ekelfraß gibt und kein Partys, wo man eingesperrt ist und nicht zuhause am Wasser. Ein gänzlich unerträglicher Zustand für die Menschen vom Fluss, und Hushpuppy ist eine von ihnen.

 

   Dieser Film, der sich einer Art magischen Realismus’ befleißigt, zeigt Amerika von einer Seite, die man bestimmt nicht oft zu sehen kriegt und die nichts mit der glatten, gefälligen Touristenfassade zu tun hat, die uns gewöhnlich im Kino vorgeführt wird. Zwischen markerschütternd grotesken Szenen, wüster Folklore, hinreißendem Witz und ungezähmter Poesie entsteht das Porträt einer Community ziemlich weit ab vom Schuss, einer Ansammlung höchst eigensinniger, origineller Typen, die den Ton der Erzählung ebenso prägen wie die Lebenshaltung unserer Protagonistin. Schön zu sehen, dass sozusagen im Kielwasser des Mainstreams solch schillernde Sumpfblumen nach wie vor existieren dürfen (auch wenn sie dies nur in geringer Anzahl schaffen), und solange das so bleibt, kann ich auch mit dem Mainstream leben – man muss ja nicht immer hinschauen, gelt... (7.1.)