Pozitia Copilului (Mutter & Sohn) von Călin Peter Netzer. Rumänien, 2013. Luminita Gheorghiu, Bogdan Dumitrache, Ilinca Goia, Natasa Raab, Florin Zamfirescu
Der diesjährige Sieger in Berlin: Spröder, schwer verdaulicher Stoff aus Osteuropa, an sich schon eine arge Seltenheit in den letzten Jahren – leider, leider, leider! -, und zudem eine bittere Bestandsaufnahme dessen, was all den Tyrannen und Diktatoren nachgefolgt ist: Nicht mehr die Diktatur der kommunistischen Herrschaft, sondern die Diktatur des Geldes. Jeder mag für sich entscheiden, welche er vorzieht...
Außerdem, wie der Titel ganz richtig feststellt, eine Mutter-Sohn-Kiste von solcher Heftigkeit, dass mein ewiger Mitstreiter und ich danach nur die wärmsten Gedanken für unsere eigenen Mamas hegten und uns gegenseitig versicherten, wie gut wir es doch getroffen haben. Cornelia ist Barbus Mutter. Mit Argwohn beäugt sie dessen neue Freundin Carmen, in der sie nur die Konkurrentin sieht. Ihre Chance, wieder neu an die erste Stelle zu treten, ergibt sich, als Barbu im Geschwindigkeitsrausch einen Jungen totfährt und vor Gericht gestellt zu werden droht. Sie nutzt ihre Kontakte in Bukarest, zieht ein paar Strippen, wedelt mit ein paar Euroscheinchen, und kann möglicherweise das Schlimmste abwenden. Barbu aber besteht darauf, dass von nun an er die Häufigkeit ihrer Kontakte bestimmt. Zu dritt machen sie sich abschließend auf den schweren Weg zur Familie des getöteten Jungen, bei der sie auf Vergebung und Milde hoffen. Barbu schickt zunächst die beiden Frauen vor, doch dann tritt er selbst noch vor den Vater hin.
In der beklemmenden und in vielen Details allzu realistischen Psychokiste wechseln die Machtverhältnisse immer mal wieder. Zu Anfang sehen wir Cornelia und ihre Schwester als zwei bepelzte, hochnäsige Hauptstadtschnepfen, die ihre vermeintlich privilegierte Position ganz selbstverständlich ausstellen und zur Geltung bringen wollen, was letztlich bei der kleinstädtischen Polizeibehörde auch nicht ohne Wirkung bleibt. Cornelia fordert ihren Sohn unverblümt zur Falschaussage auf, wohl in dem alten Wissen, dass mit etwas Bakschisch und den entsprechenden Beziehungen alles zu regeln sei. Sie tritt unerträglich dominant und bestimmend auf zur Demütigung aller übriger, und es dauert eine Zeit, bis sich der Wind auch mal gegen sie dreht, als nämlich der Sohn endlich aufbegehrt, ein zynischer Unfallzeuge ihre eigenen Regeln gegen sie umkehrt und auch die Schwiegertochter in spe an Profil gewinnt und Barbus Mama über die vielen Defekte ihres Sohnemanns ins Bild setzt. Neurosen werden vermutlich immer wieder Neurosen hervorbringen, so jedenfalls verhält es sich bei Cornelia und Barbu, und wem das zu simpel und didaktisch ist, der möge sich eine ganz beliebige Durchschnittsfamilie von heute doch mal aus der Nähe ansehen. Klar ist: Die effektvollen Tränen, die Cornelia am Schluss bei der Opferfamilie verschüttet, weint sie viel weniger um den toten Jungen, als viel mehr um ihren eigenen Sohn und noch mehr wohl um sich selbst. Sie ist voll und ganz fixiert auf sich und Barbu, den sie nie als eigenständigen Menschen anerkennt, sondern immer als ihren privaten Besitz sieht.
Angewandt auf rumänische Verhältnisse erleben wir eine Gesellschaft, die weitgehend von Vetternwirtschaft, sozialen Hierarchien und tradierten Seilschaften geprägt wird. Zahlungsmittel ist schon längst der Euro, jedenfalls wenn man wirklich was bewegen will, Furcht und Elend der kommunistischen Zeit wurden ersetzt durch Furcht und Elend im Zeichen des Kapitalismus. Das Ergebnis ist fast dasselbe: Eine unverändert kleine Elite prosperiert, der Rest lebt wie immer in Scheiß und Dreck, nur hängt wahrscheinlich nicht mehr Ceauşescu an den Wohnzimmerwänden. Wie dreist und selbstverständlich Cornelia die Strippen zieht und sogar in Gegenwart der Polizisten ihre Absichten erklärt, ist schon bemerkenswert, und wie dreist und selbstverständlich der Unfallzeuge seinen Preis für die Falschaussage verhandelt und klarmacht, dass ihm die Wahrheit nichts bedeutet, wenn nur der Euro stimmt, macht endgültig klar, dass hier das Leben eines vierzehnjährigen Burschen aus ärmlichen ländlichen Verhältnissen genauso viel oder wenig gilt wie vor dreißig Jahren. Festzustellen bleibt dabei, dass Netzer nicht mit Zeigefingern operiert und auch nicht der guten alten Zeit das Wort redet, weit gefehlt. Er bleibt kühl, distanziert, beobachtet ohne viel Emotionen, dabei sehr präzise und detailliert, und setzt Machtkämpfe im privaten, familiären Bereich geschickt in Beziehung zu gesellschaftlichen Ränkespielen und Intrigen. Die oft brillant scharfen Wortgefechte illustrieren die Balance von Dominanz und Demütigung, die hier mal zur einen, mal zur anderen Seite ausschlägt und am Ende immerhin die Feststellung zulässt, dass auch Cornelia Opferanteile übernimmt.
Getragen wird der Film von dem effektvollen, nüchternen Dogmastil und den grandiosen Darstellern, die auch hinter bissigster Gesellschaftskritik immer einen Hauch menschlichen Dramas zutage treten lassen, ohne dass hier jemals melodramatische Mittel zum Einsatz kommen müssten.
Wie gesagt – Filme aus dem Osten sind bitter rar geworden und sie fehlen wirklich in der Kinolandschaft, die seit etlichen Jahren noch limitierter scheint. Warum sie kaum zu sehen sind – entweder es werden aus wirtschaftlichen Gründen kaum noch welche produziert, oder sie werden von hiesigen Verleihern nicht als konkurrenzfähig angesehen. Beides traurig genug. (5.6.)