Her von Spike Jonze. USA, 2013. Joaquin Phoenix, Amy Adams, Rooney Mara, Chris Pratt, Mark Letscher, Olivia Wilde, Portia Doubleday
Tja, was soll man sagen, wie diesen Film katalogisieren, ihn einstufen? Science-Fiction-Romantik-Drama? Melancholisch-satirische Zukunftsvision? Erotikfantasie für Stubenhocker und andere Nerds dieser Zeit? Man täte dem Film wohl kaum recht, wollte man ihn ausschließlich in die eine oder andere Schublade packen, seine Faszination besteht ja gerade darin, dass er schillernd, vielgestaltig, im wörtlichen Sinne unfassbar ist.
Und dabei abstrakt betrachtet furchtbar simpel: Boy meets girl, beide verspüren sogleich Sympathie, dann etwas Tieferes, eine große Nähe, eine starke, unwiderstehliche Anziehung, dann wird es bald viel mehr, sie verlieben sich, haben Sex, der große Rausch des Neuen, die Euphorie, der Überschwang, bis schließlich doch die ersten kleineren Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten ins Getriebe geraten, bis hin zur finalen Erkenntnis: Er hat sie nicht für sich allein, muss sie mit mehr als achttausend anderen teilen, von denen sie sechshundert ebenfalls liebt. Erschüttert, am Boden zerstört, und dann ist sie eines Tages einfach verschwunden.
Der Trick dabei: Sie ist kein realer Mensch, sondern nur ein genial konzipiertes Computerprogramm mit weiblicher Stimme und dem Namen Samantha. Unser Held Theo hat soeben eine schlimme Trennung hinter sich, und sein gesamtes Gefühlsleben, ohnehin nicht gerade von der extrovertierten Sorte, findet nun ausschließlich in den Briefen statt, die er professionelle, also beruflich verfasst und das mit großem Erfolg. So einfühlsam und beredet er sich dort gibt, so unsicher und linkisch ist er im wahren Leben, sodass er die Chance auf die Cyberliebe zu Samantha gern ergreift und sich wie auch sie regelrecht hinein steigert in ihre wunderbare Zweisamkeit, die sich unendlich erfüllender, harmonischer und vor allem komplikationsloser darstellt als alles, was das wahre Leben bislang für ihn zu bieten hatte. Und damit ist er nicht allein: Das Programm schlägt ein wie eine Bombe, und bald ist ganz L.A. angefüllt mit selig parlierenden Singles, die sich wie er für die künstliche Intelligenz entschieden haben. Umso größer ist der Katzenjammer am Schluss, wenn das Programm plötzlich gestoppt wird und damit jede Illusion vom ganz großen Glück. Es liegt auch an den Menschen selbst und ihrer Überzeugung, dass eine Liebe nur dann wahr und gut ist, wenn man sie für sich ganz allein hat. Unerträglich geradezu ist die Vorstellung, seine Geliebte oder seinen Geliebten mit hunderten teilen zu müssen, typisch geradezu der Hang, sofort einen Besitzanspruch aufzubauen, auch wenn es sich tatsächlich nur um eine Computerstimme handelt.
In dieser Hinsicht hat der Film zugleich etwas zutiefst Satirisches, aber auch etwas zutiefst trauriges an sich, eine ganz intensive, wunderbar in Bilder und Töne umgesetzte Melancholie über Befindlichkeit und Zustand des Menschen in sicherlich nicht allzu ferner Zukunft. Konsolen und PCs haben längst umfassenden Ersatz geschaffen für reale Erlebnisse und Erfahrungen, reale Beziehungen, Freundschaften, Liebschaften. Kontakte sind flüchtig, förmlich, von Verunsicherung und Entfremdung gekennzeichnet, Partnerschaften gehen fast unvermeidlich zu Bruch, die sprichwörtliche Vereinzelung in monströs ausufernden, anonymisierten Urbanlandschaften hat solche Ausmaße angenommen, dass ein Programm wie das hier vorgestellte solch riesige Erfolge haben kann. Samantha scheint für eine gewisse Zeit tatsächlich die ideale Partnerin zu sein, Immer da, immer ansprechbar, nie müde oder launisch, wohlwollend, geistreich, interessiert und auch noch sexy. Das Konzept des Cybersex nimmt hier neue Dimensionen an, auch in jener grotesken und irgendwie total gruseligen Sequenz, in der Samantha eine echte Frau engagiert, um ihrer Stimme den notwendigen Körper zu verleihen, der dann mit Theo Liebe machen kann. Der Film hat einige solch atemberaubend kühne Visionen, und ich ertappe mich dabei, sie zugleich abschreckend und höchst anziehend zu finden, wie den ganzen Film allgemein. Spike Jonze hat einen zugleich wunderschönen, tieftraurigen, zärtlichen, verzweifelten Liebesfilm der ganz besonderen Art zwischen warm und kalt gestaltet, hat die gigantische Großstadtkulisse perfekt integriert, hat sich manchmal auch zu reinem Jux hinreißen lassen und mit Joaquin Phoenix den perfekten Protagonisten gefunden, den verlorenen Menschen des totalitären Computerzeitalters. In seinen Erinnerungen ist die berückende Rooney Mara ein Wesen aus einer fernen, besseren Zeit, in ihrer einzigen Begegnung in der Gegenwart wirkt sie schon deutlich distanzierter. Dies ist der Weg, wir arbeiten dran, sind nicht mehr weit davon entfernt. Großes, wirklich erstaunliches Kino eines Filmemachers, der sich mal was traut. Und Scarlett Johanssons Stimme hätt ich natürlich gern im Original gehört… (7.4.)