Who am I – Kein System ist sicher von Baran bo Odar. BRD, 2014. Tom Schilling, Trine Dyrholm, Elyas M’Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr., Hannah Herzsprung 

   Drei Tote im Hotelzimmer, viel Blut, drei Patronenhülsen, ein verstörter Junge, der sich den Behörden stellt, aber nur mit einer bestimmten Beamtin redet, einer Dänin, einst Europolspezialistin für Computerkriminalität. Das ist der Ausgangspunkt, und von dort an entwickelt sich eine fulminante, zunehmend schwindelerregende und verstörende Achterbahnfahrt durch die Welt der Hacker, der Mafia, der kleinen und großen Nerds, des Cyberspace in seinen dunklen Varianten. Bleiche Bürschchen in dunklen Hoodies, die selten mal die Sonne sehen, die kaum Anbindung an die Wirklichkeit haben geschweige denn an ihre Mitmenschen, die aber virtuos mit der Tastatur hantieren können und in ihrer Welt so gut wie keine Grenzen kennen. So einer ist Benjamin, ein Opfer, ein Loser, ein Unsichtbarer von Beginn an, mit schizophrener Mama und dementer Oma zuhause, und rein gar nichts weist darauf hin, dass sich sein tristes Schicksal jemals wenden könnte. Bis er durch Zufall an drei wilde Typen gerät, eine verschworene Hackergemeinschaft, und von dort an geht die Reise los und endet auf einer Fähre irgendwo nach Norden mit neuen Identitäten und der triumphalen Gewissheit, den raffiniertesten aller Hacker zur Strecke gebracht zu haben.

   Das ist zumindest eine mögliche Version, die uns angeboten wird. Gerade in der letzten Viertelstunde beschleunigt sich das Karussell nochmals enorm, rüttelt uns tüchtig durcheinander und stellt so gut wie jede bislang angenommene Gewissheit in Frage. Stimmt Benjamins Geschichte überhaupt oder hat er von der Mutter die multiple Veranlagung vererbt und die drei anderen nur erfunden, oder ist diese Variante wiederum ein Täuschungsmanöver, um die dänische Beamtin entsprechend zu manipulieren und mit heiler Haut aus Berlin rauszukommen. Nichts ist sicher, wie der Titel schon ganz richtig feststellt, auch in dieser Geschichte nicht. Ein raffiniert ausbaldowertes, cleveres Spielchen, das erst dann so richtig doppelbödig wird, als man zum ersten Mal auf den Gedanken kommt, Benjamins Berichte anzuzweifeln, was zuvor irgendwie gar nicht zur Debatte stand. Plötzlich geht es gar nicht mehr so sehr um die Bande verrückter, aber im Grunde harmloser Freaks und Adrenalinjunkies, die sich einzig aus Geltungs- und Abenteuersucht gehörig verheben und sich mit Leuten anlegen, die eine Nummer zu groß sind für sie. Plötzlich geht es darum, ob sich überhaupt noch eine gesicherte Realität etablieren lässt, oder ob nicht mittlerweile alles und jeder manipulierbar, beeinflussbar ist.

   All dies wird serviert im Gewand eines rasanten Thrillers voll auf Höhe der Zeit, furios montiert und arrangiert, auch für ahnungsloser Mittelalterliche wie unsereinen faszinierend und hoch spannend. Die Bildersprache ist absolut up to date, zieht einen von Anfang an voll mit rein, und was anfänglich noch allemal gut ist für ein paar Gags auf Kosten der Nazis und anderer Vollpfosten, entwickelt bald bedrohliche Fliehkräfte und eine Dynamik, die von niemandem mehr kontrolliert werden kann, am wenigsten von unseren vier Helden. Die Verfolgungsjagden finden abwechselnd in der realen und der virtuellen Welt statt, wobei die beiden Systeme mehr und mehr überlappen und schließlich nicht mehr sauber trennbar sind, sicherlich keine sehr angenehme Vorstellung. Genauso wenig wie die, dass fiese Russen in beiden Welten vorkommen, es gibt also kein Entkommen.

 

   Die Schauspieler sind toll, hatten sichtlich Spaß, das Tempo ist beträchtlich, die ganze Sache ist rundum cool und professionell, und es soll niemand mehr kommen und behaupten, die Deutschen können’s nur brav und bieder – geht auch anders, wie man hier sieht. Und Spaß macht‘s obendrein und wie! (20.10.)