You’re ugly too (Familienbande) von Mark Noonan. Irland, 2015. Aidan  Gillen, Lauren Kinsella, Erika Sainte, George Pistereanu

   Seit sie ihre Mutter tot auf dem Küchenfußboden aufgefunden hat, ist Stacey eine Waise, da ihr Vater vor vielen Jahren gewaltsam umgekommen ist. Ihr Onkel Will kommt und holt sie ab. Sie fahren raus in die Wildnis in einen schmuddeligen Caravan-Park, wo sie sich erstmal niederlassen, nicht gerade zu ihrer Begeisterung. Sie lernen die nette Belgierin Emilie kennen, die gemeinsam mit ihren ruppigen Mann Tibor einen Nachbarcaravan bewohnt. Will wirft ein Auge auf sie, traut sich aber nicht so recht, und außerdem muss er jeden Abend telefonieren. Stacey erfährt irgendwann, wen er anruft, nämlich seinen Bewährungshelfer. Er kommt aus dem Knast, hat eine Art Bewährung bekommen, damit er sich vorübergehend um seine Nichte kümmern kann, doch früher oder später wird das Jugendamt entscheiden, ob Stacey bei ihm bleiben kann oder ob er zurück in den Bau muss. Staceys Anmeldung auf der lokalen Schule scheitert, weil sie an Narkolepsie leidet. Schlimmer noch ist, dass sie erfährt, weshalb Will verurteilt wurde, nämlich für den Tod ihres Vaters. Will hatte seinen Schwager irrtümlich im Streit getötet, um seine Schwester und die Nichte vor dem betrunkenen Schläger zu schützen. Vor Gericht wird Will nicht als Vormund anerkannt, und die Wege der beiden trennen sich für sechs Monate. Danach treffen sie sich in Dublin, er erzählt ihr, dass er einen Job vermittelt bekommen habe, allerdings unten in Cork, und fragt sie, ob sie nicht mitkommen wolle. Sie lehnt ab, und ihre Wege trennen sich erneut.

   Eine spröde, melancholische, sehr stimmungsvolle irische Ballade, getragen von herber Landschaft und herber Musik und der wunderbaren Chemie der beiden Hauptpersonen, die auch in den dunkleren, traurigeren Momenten nicht ihren genuin irischen Charme vergessen, und das wird von Aidan Gillen und Lauren Kinsella toll rübergebracht. Der verschlossene, etwas schroffe Will, der seine Gefühle ebenso zu verbergen sucht wie die vorwitzige Elfjährige, hinter deren frecher Schnauze viel Verletzlichkeit und Sehnsucht liegen. Ihre allmähliche und hindernisreiche Annäherung wird sehr sensibel und zugleich mit viel Humor verfolgt, ihre schnippischen Wortduelle sind im Original mit Sicherheit um einiges witziger und vor allem auch vielsagender, und wundersamerweise wird Staceys Narkolepsie an keiner Stelle so ausgeschlachtet, wie es mit „exotischen“ Krankheiten heutzutage leider gern getan wird. Ihre Anfälle nehmen lediglich ab in dem Maße, da sie bei Will doch ein bisschen Ruhe und Sicherheit findet, auch wenn sich die beiden das hart erarbeiten müssen und in ihrer Umgebung außer bei der netten, schüchternen Emilie keinerlei Hilfe zu erwarten haben. Das triste Milieu hat wenig mit dem Touristen-Irland zu tun, das uns in diversen TV-Schmonzetten zugemutet wird, wirkt dafür umso authentischer und unmittelbarer, ohne auf seine Weise wiederum eine Art Anti-Idylle zu erzeugen. Drehbuch und Regie unternehmen nicht den Versuch, die letzten Winkel der Charaktere auszuleuchten, sie bleiben eigenwillig, behalten einige ihrer Geheimnisse, haben auch das recht, so wie Emilie plötzlich einfach aus der Geschichte zu verschwinden, obwohl sie doch eigentlich mit Will und Stacey ein neues Leben beginnen wollte. Ebenso offen bleibt, ob Onkel und Nichte auf lange Sicht vielleicht doch irgendwie zueinander finden können. Ihre Annäherung wird jäh gestoppt, als Stacey die Wahrheit über Will und ihren Vater erfährt, mehr aber noch durch das Urteil, das Will und Stacey wieder trennt, obwohl sie mittlerweile gewillt scheint, bei ihm zu leben. Nach sechs Monaten, die er im Knast und sie im Heim verbracht haben, sind sie jedenfalls wieder deutlich distanzierter, er hat den Anschluss verpasst, sie will nicht schon wieder aus ihrer jetzigen Umgebung gerissen werden, zumal sie die Erfahrung machen musste, dass ein Leben an Wills Seite nicht unbedingt ein sicheres und beständiges sein wird. So treiben sie wieder auseinander, was eben andererseits auch nicht ausschließt, dass sie eines Tages wieder aufeinander zutreiben werden. Nach dem Rhythmus der klassischen Ballade werden wir auf ähnliche Weise aus der Geschichte entlassen, auf die wir in sie hineingeführt worden sind.

 

   Ein bisschen dachte ich beim Zuschauen an die Filme von Joe Comerford aus der seligen Zeit, da Filme von der Insel noch regelmäßige und gern gesehene Gäste in unseren Arthaus-Sälen waren. Diese Zeiten sind wohl für immer passé, umso schöner finde ich es aber, wenn wenigstens alle paar Jahre mal ein Lebenszeichen von dort drüben kommt, und zwar eines, das deutlich nicht in die Wohlfühl-Schublade einsortiert werden will. (24.11.)