Tschick von Fatih Akin. BRD, 2016. Tristan Göbel, Anand Batbileg, Mercedes Müller, Aniya Wendel, Anja Schneider, Uwe Bohm, Udo Samel, Claudia Geisler
Es ist ein bisserl knifflig mit diesem neuen Film von Faith Akin, dem ersten seit dem etwas schwergängigen „The Cut“, und eigentlich war hier eine Rückkehr zur alten Form zu erwarten, weshalb ich voll Vorfreude und mit dem besten Vorsatz, den Film ganz super zu finden, ins Kino gerannt bin. Damit kein Missverständnis entsteht: Natürlich mag ich den Film, doch schon während des Zuschauens und auch danach hatte ich so das Gefühl, dass mir irgendwas gefehlt hat. Was, vermag ich gar nicht so genau festzumachen, und das ist wohl das Problem. Eigentlich hat der Film alles, was es braucht, um mich glücklich zu machen: Einen tollen Regisseur, tolle Schauspieler, tolle Locations, einen großen nationalen Bestseller als Grundlage, und im Kern eine Hommage an die Freundschaft, den Sommer, die Freiheit.
Ein Roadmovie aus den östlichen Randgebieten, ausgehend von Berlin-Marzahn, das ausgegebene Ziel ist die Walachei, der Zeitrahmen sind die großen Ferien, aber irgendwie kommen unsere beiden Helden nicht ganz so weit, sondern enden auf einer deutschen BAB, im Heck eines wild gewordenen Viehtransporters, und dort verliert Maik zunächst mal die Spur seines Freundes Tschick. Der ist neu in die Klasse gekommen, ein echter Asi, Deutschrusse mit wüstem Stammbaum, und eigentlich will Maik nix mit ihm zu tun haben, himmelt lieber die Klassenschönste Tatjana an, ist zugleich todunglücklich, weil er als einziger nicht zu ihrer Party eingeladen wurde. Denn er ist ein Psycho, ein Nerd, der komische Aufsätze über seine Mutter vorliest und sich nicht sehr trendy kleidet. So bilden er und Tschick alsbald eine Schicksalsgemeinschaft wider Willen, doch Maiks Meinung ändert sich, als Tschick eines Tages in einem alten blauen Lada bei ihm vorfährt und ihm zu einem ziemlich coolen Auftritt auf Tatjanas Party verhilft. Dann kommen die Ferien: Die hoffnungslos dem Wodka verfallene Mama ist mal wieder auf Entzug, Papa geht mit einer schicken jungen Mitarbeiterin auf „Dienstreise“, und da kommen Tschick und sein Lada gerade recht, um Maik vor sechs öden, einsamen Wochen zu retten. Die beiden werfen ein paar Sachen in die Karre, und los geht’s in Richtung Süden, wo Tschick Teile seiner verstreuten Sippe besuchen will. Statt der großen weiten Welt kriegen sie aber nur die brandenburgische Provinz zu sehen, müssen vor der Polente Reißaus nehmen, kriegen bei einer kommunenartigen Großfamilie ein leckeres Essen inklusive Livequiz, treffen auf Adel mit Radel, treffen vor allem auf Isa, die nach Prag zu ihrer Schwester unterwegs ist. Isa schickt sich an, Maiks sexuelle Initiation zu übernehmen, doch dann springt sie spontan auf einen Reisebus gen Prag und weg ist sie. Tschick verletzt sich, Maik muss ans Steuer, die Bullen kreisen immer noch durch die Gegend, erst recht nachdem die beiden Jungs sie einmal bös gefoppt haben, und dann passiert der besagte Unfall und Maik kommt bei der nachfolgenden Gerichtsverhandlung offenbar mit einem blauen Auge davon – im wörtlichen Sinne übrigens, denn sein Arschlochpappi rastet danach komplett aus und haut ihm voll eine rein, bevor er die Koffer packt und mit seiner jungen Schickse abdampft. Maik ist aber ein anderer, und er hat kapiert, dass die schöne Tatjana nichts weiter ist als eine einfältige Kuh, kein Vergleich zur tollen Isam und da er, Tschick und Isa sich versprochen haben, sich in genau fünfzig Jahren wieder an einem der Orte auf ihrer Reise zu treffen, hat er eine Perspektive, auf der hinarbeiten kann.
Wie gesagt, beste Unterhaltung, viel Humor, viel Herz, viele schräge Typen und Momente, eine kleine Liebeserklärung auch an die ostdeutsche Provinz (möglicherweise jedenfalls…), doch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Akin die ganze Story ein bisschen mechanisch abspult, dass er hier mit sehr vielen sehr bekannten und oft verwendeten Versatzstücken arbeitet – oder eben der Autor des Romans, wie man will. Die beiden Außenseiter, die blöden Mitschüler, der verständnislose Lehrer, die liebe aber unfähige Mutter, der durch und durch eklige Papa, all diese Personen bilden eine doch ziemlich klischeehafte Basis, auf die Akin auch voll einsteigt, die er nie durch Ironie oder andere Mittel relativiert. Dazu kommt noch ein eher beliebiger Soundtrack, der mich auch nicht gerade überzeugt hat (Clayderman ist nur ein Gag, schon klar…) Ich war mir zwischendrin auch nicht mal ganz sicher, an wen sich „Tschick“ in erster Linie richten soll, kann mich aber an etliche Jugendfilme erinnern, die mich als Erwachsenen mehr angesprochen haben. Unterwegs erweitert sich dann das Skurrilitätenkabinett bis hin zu der Person Isas, die zwar sehr charismatisch verkörpert wird, für sich genommen aber eher eine Märchengestalt ist, ein schönes, rätselhaftes Mädchen, von dem die Jungs träumen – und vielleicht soll das ja auch ein Prinzip der Story sein, wer weiß. Akin nimmt sich leider nicht die nötige Zeit, um die Reise, die Orte und die Menschen unterwegs zu entwickeln, sie wirken und atmen zu lassen, vernachlässigt auch die Charakterisierung an vielen Stellen, alles geht sehr schnell, fast atemlos voran, gerade mal neunzig Minuten sind hier etwas knapp, zumal die Einleitung in Relation recht lang ausgefallen ist. Ein Roadmovie lebt ja gerade davon, dass sich der richtige Rhythmus einstellt, dass man sich als Zuschauer ein wenig mit auf die Reise begibt, doch zumindest für mich stellte sich dieses Gefühl hier nicht ein. Mit ein wenig mehr Zeit und Ruhe hätte Akin hier viel reißen können, glaube ich. Ich glaube auch, dass ich Herrndorfs Roman mal lesen werde, einfach um zu vergleichen.
Trotzdem hat der Film natürlich seine Momente, er hat vor allem zwei toll ausgesuchte Hauptdarsteller, zwei der überzeugendsten Kinonerds, die mir bislang begegnet sind, mit denen man wirklich fühlt und leidet, deren Freundschaft man jederzeit sofort glaubt und deren zuweilen wunderbar absurden Dialogen man mit Genuss und Spaß lauscht. Akin hat es geschafft, dass man sich ihnen zu keiner Zeit überlegen fühlt, sondern sie einfach ins Herz schließt und ihrem Abenteuer ein gutes Ende wünscht. Und Akin ist einfach ein viel zu temperamentvoller, emotionaler Regisseur, um uns nicht doch immer wieder zu bewegen und mitzureißen – nur schafft er das nicht so, wie ich es erwartet bzw. erhofft hatte. In den Credits taucht der Name Hark Bohms auf – und natürlich muss man an ihn denken, schon allein durch die Präsenz Uwe Bohms, doch wenn ich Bohms grandiose Jugendfilme aus den 70ern und 80ern mit „Tschick“ vergleiche, schneidet Akin nicht sonderlich gut ab, wirkt sein Film in manchen Teilen zu glatt und flüchtig. Vielleicht liegt’s ja auch wirklich am Buch, aber das werd ich bei Gelegenheit mal checken… (28.9.)