Blade Runner 2049 von Denis Villeneuve. USA, 2017. Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Sylvia Hoeks, Robin Wright, Jared Leto, Carla Juri, Mackenzie Davis, Hiam Abbass

   Also, ganz ehrlich, gebraucht hätte ich dieses Update nicht, denn ich bin weder ein Science-Fiction-Fan noch ein „Blade Runner“-Fan – das fünfunddreißig Jahre alte Original von Ridley Scott hab ich mir vorgestern angesehen, um mich zum x-ten Mal zu fragen, woher der Kultstatus mancher Werke kommt. Aber ich bin durchaus ein Fan von Denis Villeneuve, finde seine letzten 4 Filme seit 2010 extrem beeindruckend und großartig, und war daher schon neugierig, was der Mann mit der Materie anfangen kann. Herausgekommen ist ein Zweidreiviertelstundenepos, das mich zwar nicht gelangweilt hat, das mich aber auch beiweitem nicht so bewegt hat wie Villeneuves vorherige Werke, und das auf jeden Fall ein Beispiel für einen jener zahlreichen Filme ist, deren Drehbuch nicht mit der Qualität der Regie korrespondiert.

   Die Story ist eigentlich genauso kraus und konfus wie im ersten Film, nur dass diesmal die Trennlinie zwischen Mensch und Replikant noch unschärfer ist und mich die daraus resultierende Frage nach dem Sinn der ganzen Aktion noch etwas stärker beschäftigt hat. Natürlich geht es auch genau darum – was bedeutet es überhaupt, Mensch zu sein, was macht den Menschen im Unterschied zur künstlich geschaffenen Intelligenz aus, und wäre nicht eine Daseinsform denk- und machbar, die dem Menschen in jeder Hinsicht überlegen ist und ihn damit endgültig obsolet werden lässt? Ein Mann namens Wallace arbeitet emsig daran, die vermeintliche Lücke zu schließen. Nach dem Konkurs des Tyrell-Konzerns hat er sich der Produktion neuer Replikantentypen namens Nexus 9 gewidmet, und mithilfe von Wissenschaftlern wie Dr. Stelline ist es ihm gelungen, sie mehr und mehr mit menschlichen Merkmalen auszustatten. Auch haben die neuen Replikanten nicht mehr die limitierte Lebensdauer ihrer Vorgänger vom Typ Nexus 8, die nach wie vor ein verstecktes Dasein fristen und nach wie vor von der Polizei gejagt und eliminiert werden. Wie eine Bombe schlägt folglich die Nachricht ein, dass zufällig ein von einer Replikantin geborenes Kind entdeckt wurde. Dieses Kind wäre praktisch die letzte entscheidende Schritt auf dem Weg zu einem Replikanten, der den Menschen komplett ersetzen könnte, und deshalb wird plötzlich wie wild und von allen Seiten Jagd gemacht auf dieses Kind. Das LAPD setzt Officer K auf die Sache ein, denn die Chefin macht sich große Sorgen, dass die Auffindung und Nutzung des Kindes zu komplettem Chaos und Umsturz führen könnte. K, selbst ein Replikant, gerät auf die Spur des alten Blade Runners Deckard, folgt dieser Spur über San Diego (mittlerweile eine Müllstadt vor den Toren L.A.s) nach Las Vegas (eine verlassene Geisterstadt im Nirgendwo). Auf den Fersen hat er die tödliche Luv, Wallaces beste Mitarbeiterin, die nach Macht strebt und dafür gewissenlos über Leichen geht, an seiner Seite hat er nur die süße Joi, die ist aber nur ein Hologramm, die ihm das Leben ein wenig schön machen soll, und die im Bedarfsfall, wenn‘s zum Beispiel um Sex geht, einen richtigen Körper benötigt, in den sie dann schlüpfen kann. Außerdem gibt’s da noch eine Freiheitsbewegung der Replikanten, eine Art Guerilla, die K im letzten Moment hilft. K findet heraus, dass das gesuchte Kind das Kind von Deckard und seiner großen Liebe Rachael ist, und er findet auch heraus, dass es sich um Dr. Stelline handelt, die für Wallace Träume und Erinnerungen designt. K kann Luv schlussendlich töten, verliert aber seine Joi und schafft es, Deckard zu seiner Tochter zu bringen, bevor er sich auf eine Treppe legt und einfach nur den Schnee auf sich rieseln lässt.

   Mag ja sein, dass die Story randvoll mit philosophischen Ansätzen und Gedanken ist, doch irgendwie hab ich allgemein mein Problem mit Science Fiction und diesem ganzen abstrakten Zukunfts- und Technoding, es sei denn, ich finde Themen und Parallelen, an denen ich mich orientieren kann. Künstliche Intelligenz fand ich aber nie besonders spannend, und weder die Einzigartigkeit der Menschheit noch ihr Fortbestand in Zukunft haben mir jemals Sorgen bereitet. Und natürlich ist es in diesem Fall Sinn der Sache, dass Replikanten kaum noch von Menschen unterscheidbar sind, aber es hat die Story für mich zum Teil sehr unüberschaubar und auch nicht immer ganz logisch gemacht. Wie es scheint, wie ich es gesehen habe auf jeden Fall, sind die Menschen weitgehend zu passivem, kriminellem oder sonst irrelevanten Gemüse verkommen und es sind vornehmlich die Replikanten, die das Ruder übernommen haben. Dreißig Jahre nach der ersten Story sind die Städte noch unwirtlicher, monströser und heruntergekommener geworden, das Wetter ist noch mieser, und die Paradoxie zwischen technischem Fortschritt und realen Lebensbedingungen noch eklatanter. Das Straßenbild wird von großen, lockenden Werbehologrammen beherrscht, eine ebenso witzige wie folgerichtige Idee, die im Falle Jois stark an „Her“ erinnert, nur dass die weibliche Stimme hier eine, wenn auch flüchtige, Gestalt bekommen hat. K ist im Vergleich zu Deckard kein Film-Noir-Held mehr, sondern eine Art Soldat, gewohnt, Befehle auszuführen, ohne sie zu hinterfragen, doch natürlich erleben wir bei ihm eine Entwicklung, sehen seine Neugier in Bezug auf Empfindungen und Erinnerungen, alles, was offensichtlich den Menschen ausmacht. Auch ihm wurden Erinnerungen eingepflanzt, die ihn stark bewegen, und die stärkste kommt von Rachaels Kind selbst, und so nähert sich K selbst mehr und mehr der Frage, was ihn von einem Menschen unterscheidet, was seine Existenz als Replikant kennzeichnet.

   Naja, und dazwischen gibt’s ein bisschen Action, aber auch viel Ruhe und Meditation, denn immerhin nimmt sich Villeneuve eine satte Dreiviertelstunde mehr Zeit als einst Ridley Scott, und das tut er, indem er viel tiefer in die Welt von 2049 eintaucht, wie für uns in vielen Details plastischer werden lässt, und auf diese Weise kommen auch die Actionszenen ganz anders zur Geltung. Das optische und akustische Design sind wie immer bei Villeneuve ein echtes Ereignis, nur hat mich das bei seinen vorigen Filmen einfach mehr beeindruckt, weil die ganze Geschichte drumherum für mich interessanter war. Ryan Gosling ist immerhin ideal besetzt als stoischer Replikant (vielleicht ist der Knabe ja selbst ein Replikant…), und der faltige olle Indiana Jones bietet einen hübschen Kontrast zur ewig unbewegten Miene des neuen Blade Runner. Die Schauspieler drumherum machen auch einen guten Job und unterstützen das Konzept zweier Existenzformen, die einander immer ähnlicher werden, und so ist es in diesem Film weitgehend unmöglich, Mensch und Replikant auf den ersten Blick zu unterscheiden.

 

   „Blade Runner 2049“ ist nicht schlecht, formal sowieso wie gewohnt exquisit und auch ziemlich spannend zwischendurch, doch wäre ich persönlich sehr froh, wenn Meister Villeneuve das Sci-Fi-Genre nun hinterwegs lassen und sich wieder mehr der Gegenwart widmen würde, denn dort waren seine meisterhaften Filme „Die Frau, die singt“, „Prisoners“ und „Sicario“ angesiedelt, und sowas sehe ich einfach lieber als irgendwelche Bilder aus der nahen oder ferneren Zukunft. Immerhin - wenn ich 2049 noch erlebe, bis ich gespannt zu sehen, wie dann das Wetter L.A. sein wird… (17.10.)