Les châteaux des sable (Die Schlösser aus Sand) von Olivier Jahan. Frankreich, 2015. Emma de Caunes, Yannick Renier, Jeanne Rosa, Christine Brucher, Alain Chamfort, Gaëlle Bona, Paul Bandey, Nathan Rippy

   Éléonores Vater stirbt plötzlich und hinterlässt ihr sein Haus in der Bretagne. Sie soll verkaufen und mit dem Erlös was Vernünftiges anstellen. Für sie bedeutet das in erster Linie mal, ihre Schulden zu tilgen, denn als freischaffende Fotografin in Paris hat sie es nicht ganz leicht. Ebenfalls nicht leicht fällt es ihr, überhaupt in dieses Haus zurückzukehren, wo sie alles an den geliebten Vater erinnert. Sie bittet deshalb ihren Exfreund Samuel, sie in die Bretagne zu begleiten, um ihr bei der Abwicklung des Verkaufs zu helfen. Das ist etwas pikant, denn obwohl er bereits eine Neue hat, leidet er noch immer unter ihrer Trennung, die zustande kam, weil sie sich vorübergehend mit einem anderen eingelassen hatte. Und so entwickelt sich ihr Wochenende im Westen recht spannungsreich, was die Maklerin Claire überhaupt nicht versteht, denn sie findet, die beiden sind ein tolles Paar und obendrein sehr sexy. Samuel gibt sich zuerst recht distanziert und barsch, doch irgendwann brechen alle Dämme, und die beiden landen wieder im Bett. Der Verkauf geht schließlich erfolgreich über die Bühne, doch Samuel ringt noch mit sich, ob er einen Neubeginn mit seiner großen Liebe Éléonore wagen oder lieber zu seiner hübschen Laure zurückkehren soll. Naja, man ahnt aber doch, wie er sich entscheiden wird, und das tut er dann auch zur tiefsten Zufriedenheit meiner besseren Hälfte…

   Erst dachte ich natürlich, der beste Grund, diesen Film überhaupt anzusehen, sei die Bretagne. Da muss ich mich nachträglich arg korrigieren – der beste Grund, diesen Film anzusehen, ist beileibe nicht die Bretagne, obwohl die natürlich immer ein guter Grund ist. Aber in diesem Fall eben nicht der beste. Der beste Grund, diesen Film anzusehen, ist die Art und Weise, wie Drehbuch und Regie mit den Personen umgehen, mit ihrem Zusammensein, ihrer Interaktion und ihren jeweiligen Geschichten. Es wird viel im Off erzählt, was mich diesmal kein bisschen gestört hat, im Gegenteil. Die Vielstimmigkeit, den klaren, abwechselnd leicht melancholischen oder auch leicht ironischen  Blick dieser Stimmen habe ich als überaus wohltuend und bereichernd empfunden. Ich erfahre viel über die Hauptfiguren, doch ersetzen diese Stimmen nicht das visuell Erzählte, wie so oft bei hilflosen Literaturverfilmungen, sondern ergänzen, unterfüttern es. Éléonore, Samuel und Claire sind vielschichtige Charaktere, die längst nicht immer alles von sich preisgeben, und auch die Off-Erzählung nimmt uns das nicht ab. Blicke drücken hier viel mehr aus als die oft spröden, ungelenken Worte und Gesten. Claires heimliche Sehnsucht, das plötzliche Verlangen, mit beiden Sex zu haben, ihre Einsamkeit hinter der offenen, optimistischen, lockeren Fassade. Éléonores komplexes Verhältnis zum Vater, den sie sehr liebte, dem sie nun aber zürnt, weil er einfach so gestorben ist und weil er offenbar nach dem Tod ihrer Mutter noch eine Geliebte hatte, von deren Existenz sie erst jetzt erfährt. Diese Frau, Maëlle, die kurz mit dem Gedanken ringt, das Haus ihres Geliebten zu kaufen, hat wiederum ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Verletzungen, weil ihre Existenz vor der Tochter stets verheimlicht wurde. Samuel, der die Trennung von Éléonore nicht überwinden kann, der die Verletzung nicht verwinden kann, der aber mehr und mehr spürt, dass die Bindung zu ihr immer noch stärker ist als die zu Laure. Aus dieser pikanten Gemengelage entspinnt sich ein ganz wunderbar realisiertes Beziehungsgeflecht, leise, gefühlvoll, mal komisch mal ein wenig ernst, vor allem aber stets mit tollem Blick fürs Detail, für Stimmungen, für das, was zwischen den Zeilen, zwischen den Menschen abläuft, ohne immer gleich ausgesprochen zu werden. Mal schafft es Claire, dass die beiden Ex-Lover sich bei Crêpes und Cidre kurzfristig entspannen, mal kann sie einen heftigen Clash nicht verhindern. Éléonore selbst hat dauernd mit ihrer Eifersucht zu tun und klärt Samuel über die Gründe ihres Seitensprungs auf, der wiederum auf ihn einen ganz neuen Blick wirft. Das ist alles, nur kein gefälliges Wohlfühlkino, und einmal mehr muss ich den Franzosen in diesem Fall Abbitte leisten – ja, sie können auch noch anders! Die Chemie zwischen Emma de Caunes und Yannick Renier ist grandios, die beiden sind als Paar sofort total glaubhaft, und es ist eigentlich genau, wie Claire sagt – sie sind sehr sexy zusammen. Das hört sich banal an, ist es aber nicht und ist es im Kino schon gar nicht. Wie selten kommt diese Chemie auf diese Weise zustande, und wie wichtig ist sie vor allem in Filmen, die sich um das Leben und die Liebe drehen.

 

   Ein ganz schöner Film aus Frankreich also, der meine Erwartungen deutlich übertroffen hat. Ach ja, und dann ist da noch die Bretagne, das Meer, die Farben, die Felsen, der Klang der Ortsnamen, die Häuser, die Häfen, die Boote, der Regen, alles ganz unaufdringlich und dabei total präsent. Tolle Schwarzweißfotos von Éléonores Papa gibt’s gratis dazu. Also meine bessere Hälfte und ich haben innerlich alle fünf Minuten die Koffer gepackt… (12.6.)