The girl with all the gifts von Colm McCarthy. England/USA, 2016. Sennia Nanua, Gemma Arterton, Glenn Close, Paddy Considine, Fisayo Akinade, Anthony Welsh, Annamaria Marinca

   Noch ne Zombie-Dystopie: Wieder mal hat sich der Großteil der sogenannten Menschheit in schäumende Menschenfresser verwandelt (diesmal ist eine Pilzinfektion im Gehirn schuld), wieder mal kämpfen versprengte Häuflein Nicht-Infizierter überall im Lande ums Überleben, wieder mal steht das Ende der Welt unmittelbar bevor und wieder mal zieht sich der Mensch im Angesicht dieser Bedrohung auf sein atavistischen Urinstinkte zurück, sprich es wird geplündert, gemordet und alle Barrieren werden mit Genuss niedergerissen. Eigentlich müsste man den Zombies direkt dankbar sein, denn so darf der Mensch endlich wieder ganz bei sich sein…

   In einer Militärbasis werden Kinder aus der zweiten Generation gefangen gehalten und der Reihe nach für medizinische Tests unter Betäubung seziert. Ein Impfstoff soll entwickelt werden, und Dr. Glenn Close ist fest davon überzeugt, dass die Gehirne dieser zweiten Generation den entscheidenden Aufschluss geben, denn diese Kinder sind anderes, haben menschliche Züge, zeigen Empathie, Intelligenz, verwandeln sich allerdings sofort in zähneklappernde Hungries, wenn sie Menschen wittern, weshalb sie zum täglichen Unterricht nur in Rollstühlen festgeschnallt erscheinen dürfen. Melanie ist bei weitem die klügste von allen, ein freundliches, hellwaches Mädchen, das ihren Zombietrieb offenbar am besten von allen unterdrücken kann. Als die Basis überrannt wird, kann nur eine kleine Gruppe entkommen, unter ihnen Melanie, die verwundete Dr. Caldwell, die idealistische Lehrerin Helen, der kernige Sergeant Parks und einige weitere Privates, die allerdings im Laufe der Flucht alsbald ihr Leben lassen müssen. Man schlägt sich nach London durch, besetzt ein mobiles Labor, doch zeigt sich, dass der Pilz ein weiteres Mutationsstadium erreicht und Sporenkapseln ausgebildet hat, und dass, falls diese Kapseln ausbrechen und die Sporen in die Luft entlassen, endgültig zappenduster ist. Ganz London ist von still herumstehenden Hungries bevölkert, und zu viert auf sich gestellt ist die Lage aussichtslos. Da übernimmt Melanie die Initiative, schafft klare Verhältnisse, in denen einzig Helen überlebt, um am Ende aus dem sicheren Labor wie früher Unterricht für mutierte Kinder zu geben…

   Ein sehr morbides, sarkastisches Ende einer Geschichte, die viele hinreichend bekannte Elemente übernimmt, diesen dann aber doch einen ganz neuen Twist mitgibt. Natürlich schwingen Vorbilder wie Danny Boyles „28 days later“ oder auch die „Walking Dead“ mit, ganze Sequenzen könnten speziell in der Serie bruchlos ihren Platz einnehmen, und auch die Reflexion über die Frage nach der Menschlichkeit und ihrem Wert sind mir so oder so ähnlich schon häufiger begegnet im Zombiegenre, doch durch die Figur der Melanie ist die Sache diesmal doch etwas anders gelagert. Brillant konzipiert, vor allem brillant gespielt, lässt sie uns ständig schwanken zwischen vollkommener Sympathie, Mitleid und Furcht, und wenn sie am Schluss das Regime in die Hand nimmt, klingt die ganze Geschichte mit einer unheimlichen, wahrhaft apokalyptischen Note aus. „Wir haben alle Zeit der Welt“, verkündet sie und strahlt dabei so sonnig und ehrlich wie jedes junge Mädchen, und diese Ambivalenz ist schon ziemlich spannend. Melanie nutzt ihre Intelligenz ebenso wie ihre Zombienatur, setzt sich gegen die übrigen Zombiekinder im Viertel durch, nimmt bewusst die Führungsrolle ein, um sie im Schach zu halten, lebt zugleich ihre Zuneigung zu ihrer Lehrerin Helen aus und beschützt sie gegen die anderen Hungries. Sie bewegt sich also mitten zwischen sehr menschlichen Empfindungen und Zombieinstinkten auf eine Weise, die ich zumindest bisher so noch nicht erlebt habe in dem Genre. Und sie lässt die Absichten Dr. Caldwells grausam und faschistoid erscheinen, obwohl die Ärztin nichts anderes im Sinn hat, als einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln und immer wieder darauf hinweist, dass Melanie und die übrigen Kinder keine Menschen im normalen Sinne seien, und dafür kriegen wir mehr als eine Demonstration geboten. Caldwell steht, was Ambivalenz angeht, auf der entgegengesetzten Seite, und zwischen diesen beiden Polen bewegt sich in etwa die Spannung, die die Geschichte der kleinen Gruppe ausmacht. Parks ist ein alter Armeehase und aufs Überleben gedrillt, doch alles in allem noch nicht ganz von seinen Gefühlen abgeschnitten, und Gema Arterton hat die mit Abstand uninteressanteste Rolle als naiv wirkende Lehrerin Helen, die gern das Gute in der Kreatur sehen und nicht wahrhaben möchte, dass Melanie unterm Strich auch nur eine Mutation ist.

 

   Auf jeden Fall ist dies ein Stück sehr spannender und vorzüglich inszenierter Gruselunterhaltung. Die Gewaltexzesse schockieren niemanden mehr, der ein paar Staffeln der Walking Dead ertragen hat (ist schon erschreckend, wie sehr solch ein Zeug die Schockschwelle verändern kann…), und das Motiv der leicht verpixelten Zombiehorden, die mit mörderischem Appetit über alles und jeden herfallen, sind uns seit Danny Boyle bestens vertraut. Auch das zur unbehausten, halbwegs von der Natur zurückeroberten Wüste verkommene London haben wir schon in „28 days later“ gesehen. Das Besondere ist hier eben, wie Buch und Regie innerhalb dieses Rahmens für ein paar grundlegend neue, interessante Akzente gesorgt haben, die diesen Film schon zu einem herausragenden Exempel der Gattung machen. Herausragend ist auch der Soundtrack von Cristobal Tapia de Veer, ein Paradebeispiel für suggestive, verstörende, psychedelische Klanglandschaften, die mehr leisten, als nur eine Untermalung der Bilder zu liefern, so wie es nur die wirklich guten Soundtracks tun. Also alles in allem feinstes Mitternachtskino, und wenn man dann gegen ein Uhr morgens raus aus dem Kino und mitten rein in die ewige Bielefelder Baustelle rennt, schaut man schon mal nach rechts und links… (10.2.)