Beautiful Boy von Felix van Groeningen. USA, 2018. Steve Carell, Timothée Chalamet, Maura Tierney, Christian Convery, Oakley Bull, Jack Dylan Grazer, Kaitlyn Dever

  Der Kampf verzweifelter Eltern um ihre drogensüchtigen Kinder scheint in diesem Jahr ganz oben auf dem Themenzettel Hollywoods zu stehen. Im Nachspann kriegen wir auch gesagt, wieso: Drogen sind in den Staaten Todesursache Nummer eins bei den Kids (also sogar vor Schusswaffen…), es gibt keine koordinierte staatliche Hilfe, in God‘s Own Country kämpft nach wie vor ein jeder für sich. Letzte Woche kämpfte Holly ihren einsamen Kampf um ihren Sohn Ben, diesmal ist es David, der um seinen Sohn Nic kämpft. Nic rutscht über Tabletten in die Sucht, landet bei Crystal Meth, schießt aber auch Heroin, wenn’s nötig ist und hat schon den einen oder anderen gescheiterten Entzugsversuch hinter sich. Die Familienkonstellation ähnelt verblüffend der im anderen Film: Nic ist Davids Sohn aus erster Ehe, jetzt gibt es eine neue Familie mit Ehefrau Karen und zwei niedlichen kleinen Kindern, die den großen Bruder anhimmeln und nach Möglichkeit nichts mitkriegen sollen von dem ganzen Drogenhorror. Tun sie aber natürlich doch.  Nic leibliche Mom lebt in L.A., doch hauptsächlich kümmert sich David, und der versucht wirklich alles, um seinen Ältesten, der einst so ein toller, schöner Junge war, wieder auf den richtigen Weg zu bringen, allein, die Drogen sind immer wieder stärker. Nic tut sich mit ner Junkiebraut zusammen, schmeißt die Klinik, wohnt auch zwischendurch mal bei Mom, doch die ist total überfordert und kann den Sprössling gar nicht handeln. David und Karen gehen bis hart an die Grenze, bis auch Karens Bereitschaft, sich und ihre beiden Kinder kritischen Situationen auszusetzen, erschöpft ist. Erst indem David schließlich schlagartig auf Distanz geht und seinen Sohn mehrmals konsequent abweist, kann er neue Kraft schöpfen, und am Ende lesen wir im Nachspann, dass Nic jetzt schon seit acht Jahren clean ist…

   Der Film basiert auf zwei Quellen, autobiographischen Büchern nämlich von David und Nic Sheff, und das ist für meinen Teil das Hauptproblem. Indem er versucht, beide Perspektiven zu erfassen und zusammenzuführen, verliert er seinen erzählerischen und auch emotionalen Fokus, ich werden ständig hin- und hergerissen zwischen Vater und Sohn, und mir persönlich hätte es deutlich besser gefallen, mich lediglich mit einer Sichtweise auseinandersetzen zu müssen, zumal jetzt auf diese Weise keine von beiden so richtig funktioniert. Es gibt zu viele Leerstellen, zu viele Lücken, zu viele Dinge, über die ich gern mehr erfahren, die ich gern besser verstanden hätte. Die Eindringlichkeit einzelner Szenen kontrastiert etwas ungut mit der Sprunghaftigkeit an anderer Stelle, das Drehbuch erscheint mir wenig organisch, wenig überzeugend durchdacht. Van Groeningen reiht emotionale Momente aneinander, das kann er gut, wie man in „Broken Circle“ gesehen hat, füttert sie mit tollen Songs an, doch er kriegt kein stimmiges Ganzes zusammen, springt hin und her, auch zwischen den Zeiten, und nicht alle Geschichten vertragen eine unübersichtlicher Handlungsführung, finde ich. Wie im Ben-Film kriegen wir auch hier teilweise einen ganz eindrucksvollen Einblick in das Innenleben einer Familie, die ständig unter Stress steht, weil sie absolut niemals sicher sein kann, dass nicht in nächster Sekunde irgendein Scheiß mit Nic passiert. Die Drogen haben alle fest im Griff, auch die zwischenzeitlichen schönen, harmonischen Momente zu fünft am Strand oder im Garten sind überschattet von der Angst vor Rückfällen, und die kommen so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir bekommen keine wirkliche Erklärung für Nics Sucht, sie scheint einfach so zu passieren, denn anders als Ben scheint er nicht unter der Trennung der Eltern zu leiden, sondern sich total in die neue Familie zu integrieren, zumal er in Karen eine überaus liebevolle und geduldige Ersatzmutter hat, die er auch voll als solche anerkennt. Vielleicht war es Zufall oder Neugier oder irgendeine vage innere Leere, ich verstehe es nicht, und ich geb zu, mit Junkies hab ich echt meine Probleme und will wenigstens verstehen, wieso die sich allen möglichen Dreck in die Venen spritzen. Das ewige Auf und Ab, das zermürbende Ringen um einen Silberstreif am Horizont, die totale Aufopferung Davis, die andererseits auch in übermäßige Kontrolle und Dominanz umschlagen kann, der Schmerz, die Angst, die Hoffnung, die Liebe, all das kommt zwischendurch auch stark zur Geltung, und dann packt mich der Film auch mal, doch dann holpert’s und springt’s wieder und ich verliere wieder etwas den Kontakt. Immerhin gibt‘s hier keine nervige Soloshow à la Julia Roberts, alle spielen wie aus einem Guss, vor allem Steve Carell zeigt eine sehr beeindruckende und bewegende Darstellung als unermüdlicher und niemals aufgebender Vater, er schließlich doch in einen schweren Konflikt gerät, als Karen ihm klarmacht, dass er nicht nur für Nic verantwortlich ist, sondern auch für den andere, den neuen Teil seiner Familie. Im Telefonat mit seiner hilf- und ratlosen Ex-Frau spricht er eine bittere Wahrheit aus, die vermutlich für alle Junkieeltern gilt und die besagt, dass sie ihre Kids sowieso nicht retten können. Er selbst straft sich dann Lügen, denn er macht weiter, hält zu seinem Sohn und hat vielleicht sogar Erfolg damit.

 

   Alles in allem aber wieder kein hundertprozentig überzeugender Film, auch hier hakt’s beim Drehbuch und vielleicht auch einer Regie, die etwas zuviel Wert darauf legt, möglichst viele gute Songs einzubauen, egal, ob wir sie wirklich brauchen oder nicht. Der van Groeningen hat’s gern mit dem Schlachtfeld Leben und dem großen Drama, mir hingegen hat der zurückhaltendere, konzentriertere Regiestil von Peter Hedges zu diesem Thema besser gefallen. (29.1.)