Cleo von Erik Schmitt. BRD, 2018. Marleen Lohse, Jeremy Mockridge, Heiko Pinkowski, Max Mauff, Fabian Busch, Anna Böttcher, Ben Münchow, Maximilian Befort, Amy Benkenstein, Andrea Sawatzki

   Länger schon keinen Film mehr gesehen, zumal nicht aus heimischen Gefilden, dem man diese Freude am Filmemachen, am Herumspinnen und -fabulieren so direkt anschaut. Ein zauberhaftes, rasantes, witziges und auch ernstes Großstadtmärchen für Erwachsene, eine Schatzsuche, eine Zeitreise, eine Geschichte vom Erwachsenwerden und Ängste überwinden, und einmal mehr eine Geschichte über den ewig großen Wunsch, ein einziges Mal nur die Zeit zurückdrehen zu können, um den Lauf der Geschichte zu ändern und jemanden zu retten.

   Cleo, um genau zu sein, will gleich zwei Menschen retten, und zwar ihre Eltern, die sozusagen beide für sie gestorben sind. Die Mama bei der Geburt direkt am 9. November 1989 an der Mauer im Chaos und Trubel, als die Ärzte sich schließlich entscheiden müssen, wen sie retten sollen, die Mutter oder das Kind und sich der verzweifelte Vater für das Kind entscheidet. Derselbe Vater stirbt dann ein paar Jahre später ähnlich tragisch, als er gemeinsam mit seiner Tochter in alten Katakomben umherkriecht und eine Fliegerbombe mit dem Spaten trifft – die kleine Cleo hate irgendwie vom legendären Schatz der Sass-Brüder erfahren, zudem angeblich auch eine magische Uhr gehört, mit deren Hilfe man in der Zeit zurückreisen und damit dann das Leben der Mama retten könnte. Die Waise Cleo kommt ins Heim und versinkt in Einsamkeit, die erwachsene Cleo taucht kurz darauf auf als eine ebenfalls sehr isoliert und nach strengen eigenen Regeln und Ritualen lebende junge Frau, die überhaupt keine klare Vorstellung von sich selbst und ihrer Zukunft hat, bis sie zufällig Paul trifft, der sie nach langer Zeit wieder auf die Spur des Schatzes bringt, der irgendwo in Berlin tief unter der Erde liegen muss. Und obwohl sie größte Schwierigkeiten hat, anderen Menschen zu vertrauen oder überhaupt mal Kontakt zu ihnen aufzunehmen, lässt sie sich auf Paul und seinen Spleen ein und gemeinsam mit zwei schrägen Knackis machen sie sich auf die Suche unter dem Teufelsberg, wo sich unter der verlassenen Abhörstation der Amis noch eine alte Naziuniversität befinden soll. Cleo findet die Uhr tatsächlich und erprobt ihre Wirkung, wäre bereit, ihr Leben für das ihrer Mutter herzugeben, doch mittlerweile hat sie auch im richtigen Leben etwas oder besser gesagt jemanden gefunden, der es wert wäre, hier an Ort und Stelle weiterzumachen, und folglich bleibt die Vergangenheit so, wie sie war…

   Wenn es um Zeugnisse der Geschichte geht, hat Berlin in der Republik keine Konkurrenz – nirgendwo sonst im Lande finden sich so konzentriert derartig viele faszinierende, monströse, skurrile, bedrückende oder auch verborgene Plätze oder Gebäude, die an all das erinnern, was sich im letzten Jahrhundert in dieser Stadt abgespielt hat. Ich bin kein sonderlich großer Berlin-Fan, aber allein aus diesem Grunde fahre ich auch immer wieder gern hin, und schon allein deshalb ist „Cleo“ für jeden Freund origineller Abenteuergeschichten eine höchst attraktive Sache. Und als prachtvolle Hommage an Berlin und seine ganze spezielle Vergangenheit und seine ebenso spezielle Einwohnerschaft sowieso. Regisseur Erik Schmitt montiert einen fantasievollen, kunterbunten Bilderbogen, der manches Mal ein bisschen an die gute alte Amélie denken lässt, aber in seiner Substanz deutlich tiefer geht, ernster wirkt. Die Leichtigkeit der vielen flotten Montagen und Tricks kontrastiert zwar nicht ganz so überzeugend mit der plötzlichen Dramatik gegen Schluss, doch hat die wunderbare Marleen Lohse genug Gelegenheit, auch die dunkleren Seiten ihrer Cleo ins Spiel zu bringen, sodass sie weit mehr ist als nur ein hübsches rothaariges Zauberwesen. Ich find’s immer wieder eindrucksvoll, Leute, die man sonst vorwiegend aus Fernsehserien kennt, auch mal auf der sogenannten großen Leinwand zu sehen und zu erleben, was wirklich in ihnen steckt – Marleen Lohse jedenfalls legt hier eine fulminante Performance hin. Das Tolle an der ganzen irren Geschichte ist ja, dass sie durchaus an realen Fakten andockt: Es gibt den Teufelsberg, es gibt darunter die zugeschütteten Ruinen der geplanten sogenannten „wehrtechnischen Fakultät“ aus der Nazizeit, es gab natürlich die Gebrüder Sass und es gibt sogar ihren legendären, noch immer nicht gefundenen Schatz. Das gibt dem Ganzen für mich einen besonderen Reiz und beweist einmal mehr, dass die Geschichte gar nicht immer neu erfunden oder irgendwie aufgepimpt werden muss – sie ist für genommen schon spektakulär genug und liefert unendlich viel Stoff fürs Kino.

   „Cleo“ jedenfalls ist ein Glücksfall fürs Sommerloch (das in diesem Jahr allerdings schon irgendwann im Frühjahr losging…), ein ungewöhnlicher, origineller, eigenwilliger Film, der leichte, komische, verträumte Elemente sehr gekonnt mit ernsthaften verknüpft und die hymnische Liebeserklärung an die Hauptstadt mit Ironie und Historie unterfüttert. Ebenso charmant wie unterhaltsam, und wenn ich demnächst mal wieder nach Berlin komme, werd ich mir endlich auch mal den Teufelsberg anschauen… (30.7.)