No time to die (Keine Zeit zu sterben) von Cary Joji Fukunaga. England/USA, 2020. Daniel Craig, Léa Seydoux, Rami Malek, Lashana Lynch, Ralph Fiennes, Naomie Harris, Ben Wishaw, Rory Kinnear, Jeffrey Wright, Christoph Waltz, David Dencik, Ana de Armas

   Ich habe James Bond eigentlich (fast) immer gemocht. „Der Spion, der mich liebte“, war 1977 eines meiner ersten Kinoerlebnisse und ist mir noch in wärmster Erinnerung, in den 80ern bin ich ihm dann weitgehend ferngeblieben, doch ab den 90ern habe ich regelmäßig zugesehen, wie er Mal für Mal für uns die Welt rettet. Den ganzen Macho- und Kalter-Krieg-Unfug konnte ich dabei meistens locker beiseite schieben, denn diese Filme kann man einfach nicht völlig ernst nehmen – sie selbst tun es auch nicht, und das hat mir immer besonders gefallen. Diese Selbstironie, die zwischenzeitlich in der Ära Moore mal gehörig aus dem Ruder gelaufen war, ist in der Ära Craig weitgehend verloren gegangen, wurde ersetzt durch mehr grimmige Körperlichkeit und Emotionalität, letzthin ist man gar dazu übergegangen, der Figur Bond eine Biographie, eine Familiengeschichte anzudichten. Ob das in jeden Fall gelungen war oder ob das passend war im Sinne der Figur Bond, wie man sie zuvor kannte, sei dahingestellt, es ist eben so gelaufen. Angeblich hat Daniel Craig selbst dies auch aktiv vorangetrieben, und nun tritt er in seinem unwiderruflich letzten Film (wie war das noch mit „Never say never again“…) als 007 an, und es wurden mehrere Regisseure und ziemlich viele DrehbuchautorInnen involviert, um ein gebührend großes Finale zu fabrizieren (leider hat Danny Boyle nicht den Zuschlag gekriegt, das hätte mich wirklich mal interessiert). Pandemiebedingt verschob sich dann alles um ein volles Jahr, die Vorerwartung stieg entsprechend, immer neue Namen kursierten in den sogenannten sozialen Medien, wenn es um Craigs Nachfolge ging, kurz, die Bühne war bereitet für Bond Nummer 25, das Kinoereignis des Jahres – und dann dies.

   Etwas belämmert stolpern meine bessere Hälfte und ich in die Allgäuer Nacht – was bitte war das? Wo ist unser unantastbarer, smarter, cooler Superheld, unser Mann ohne Eigenschaften, unser weltgewandter Trendsetter, unser Wodka-Martini-Brite geblieben? Was ist aus ihm geworden – ein Familienvater, der sich am Schluss, da er zur Familie niemals zurückkehren darf, im Dienste der Sache, will sagen der Menschheit opfert und aufrechten Blicks im Bombenhagel untergeht? Ich meine, sollen wir dieses Finale ernst nehmen? Wie kann es danach weitergehen? Soll dies doch das Ende der Serie sein und auf den Beginn einer neuen Serie verweisen? Und wenn nicht – wie zum Teufel will man es so hinbiegen, dass es mit James Bond weitergehen kann, nachdem er hier feierlich beerdigt und verabschiedet wird und eine mögliche Nachfolgerin bereits in den Startlöchern lauert (tough, weiblich, schwarz, alles hundertprozentig korrekt)? Am besten ist es vielleicht, wenn ich das all das nicht so ernst nehme und mir all diese Fragen auch erst gar nicht stelle.

    Wenn ich das mal tun will, bleibt unter dem Strich ein höchstens mittelmäßiger James-Bond-Film übrig. Klar sind die Schauplätze wie gewohnt exotisch und exquisit. Klar ist die Action wie gewohnt fulminant choreographiert. Klar tun die Schauspieler wie gewohnt ihr Bestes, und das ist in diesem Format allemal gut genug. Das Wiederauftauchen bekannter Gesichter im Bond-Team gibt dem Film ein (an dieser Stelle) angenehm familiäres Flair, und Léa Seydoux als schwer durchschaubare Gefährtin und Mutter seiner Tochter spielt erfolgreich gegen die Tatsache an, dass ihre Rolle im Vergleich zu „Spectre“ viel konservativer angelegt ist. Daniel Craig selbst wirkt übrigens sehr viel wacher und agiler als in seinen vorherigen Auftritten, ob aus Freude über den dicken Scheck oder darüber, nun endgültig mit 007 abschließen zu dürfen, sei dahingestellt. Und mit Mr. Fukunaga sitzt einer am Schaltpult, der das ganze sündhaft teure Projekt halbwegs auf Kurs halten kann (obwohl mir seine früheren Filme deutlich lieber sind). Aber sonst? Der Titelsong mit Billie Eilish – mau und nichtssagend. Die Story – ausufernd, umständlich, sehr konstruiert und dramaturgisch wenig überzeugend. Die Anspielungen auf den einen früheren Bond-Film, in dem es mal etwas persönlicher wurde („We have all the time in the world“), werden auch dadurch nicht origineller, dass sie uns mehrmals um die Ohren gehauen werden. Der aktuelle Bösewicht – wirkt in seiner Motivation, mal wieder die Menschheit auslöschen zu wollen, ebenfalls wenig überzeugend und kommt auch nicht recht zur Entfaltung, weil drumherum einfach zuviel los ist. Der ursprüngliche Bösewicht – hat leider nur einen kurzen Auftritt, wird danach ruckzuck aus dem Film gekickt, so als hätten die Autoren keine Verwendung mehr für ihn gehabt, und nach all dem Aufwand, der in „Spectre“ um Blofeld, den Halbbruder, die Nemesis, betrieben wurde, ist dies wie ein Schlag ins Gesicht. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass unglaublich viel heiße Luft bewegt und dennoch niemals ein rundes Ganzes geschaffen wird. Der Film ist mit zweidreiviertel Stunden im Übrigen der längste aller Bondfilme, aber das hat leider keine Auswirkung auf seine Qualität, jedenfalls keine positive. Eine deutliche Straffung hätte ihm mit anderen Worten sehr gut getan. Den immerhin vier beteiligten Autoren ist es zudem nicht gelungen, eine sinnvolle Balance zwischen Turboaction und „nachdenklichen“ Momenten zu finden, oder auch, was den Menschen Bond betrifft, eine Balance zwischen nach wie vor sehr effizienter Killermaschine und gefühlvollem Mann, der noch immer um seine große Liebe Vesper trauert, und spät berufenem Vater einer zuckersüßen Tochter, auf die Walt Disney stolz wäre. Die Brutalität des Geschehens wirkt dadurch oft ebenso abwegig wie die Sentimentalität. Apropos – das Pathos, das in nicht geringem Ausmaß über die letzte halbe Stunde ausgegossen wird, ist für mich wohl der irritierendste Aspekt hier. Man kann wirklich mit Fug und Recht viel mosern und schimpfen über die Filme und ihre Klischees und ihre Oberflächlichkeit und ihre Albernheit und weiß der Himmel was noch, aber eins hat bislang nie zum 007-Kanon gehört, und das ist Pathos. Es gehört nicht zu Bond, es passt nicht zu Bond, und es hat eigentlich auch bisher nicht zu dem Bond von Daniel Craig gepasst. Sein Abgang aber ist Pathos pur, unangenehm dick aufgetragen, auf fast schon komische Weise überzogen, und für mein Empfinden höchst befremdlich. Ich bin durchaus auch der Meinung, dass die Figur Bond mit den Jahren gehörig entwickelt und verändert gehört, um endlich in der Neuzeit anzukommen, alles okay soweit, aber das hier ist einfach nur schräg, deplatziert und tut diesen Bestrebungen absolut keinen Gefallen.

 

   Tja, was bleibt? Daniel Craig hätte wahrlich einen würdigeren Abschied verdient gehabt, denn er hat schon einiges bewegt. Ich hätte mir nach all der langen Wartezeit einen befriedigenderen Kinoabend gewünscht. Und wie die Macher von James Bond aus dieser Nummer wieder rauskommen wollen, das möchte ich sehen. Oder müssen wir uns am Ende mit dem Gedanken anfreunden, dass es eine Zukunft ohne 007 geben wird…? ˜˜» (4.10.)