Il legionario (Der Legionär) von Hleb Papou. Italien, 2021. Germano Gentile, Marco Falaguasta, Felicitè Mbezelè, Maurizio Bousso, Francesco Aquaroli, Ilir Jacerali
Der aus einer afrikanischen Einwandererfamilie stammende Polizist Daniel gerät in einen fatalen Konflikt, als ausgerechnet seine Einheit ein seit Jahren besetztes großes Wohnhaus räumen soll, in dem seine Mutter und sein Bruder leben und zu den engagiertesten Aktivisten im Kampf um die Erhaltung des Zustands gehören. Er scheitert in seinen Versuchen, seine Mutter zum vorzeitigen Auszug zu bewegen und seinen Bruder zum Einlenken zu bringen, und er findet keinen Weg, seinem väterlich wohlmeinenden Kollegen von seinem Dilemma zu erzählen, und folglich kommt es am Tag des Großeinsatzes zu einer Katastrophe, in deren Folge er möglicherweise alles verliert, was ihm wichtig ist.
Ein kleines Wunder ist dieser Film irgendwie, denn er kriegt es fertig, sehr viele sehr wichtige und relevante Themen in gerade mal achtzig Minuten zu packen, ohne unter dieser Last in die Knie zu gehen, sich in Plattitüden zu verlieren oder spekulativ an der Oberfläche zu bleiben. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass der Autor/Regisseur aus Belarus stammen könnte, so dicht und authentisch kommt sein kompaktes, intensives Sozial- und Familiendrama daher. Er widmet sich Daniels privater und beruflicher Situation zwischen angehender Kleinfamilie mit hochschwangerer Frau und dem Miteinander in der Einheit, dem Stresstraining, dem Feierabendbier, den zermürbenden Einsätzen. Auf der anderen Seite die Welt der Hausbesetzer, eine ethnisch denkbar diverse Truppe aus Menschen aller Himmelsrichtungen, die sich verzweifelt dagegen wehren, wie so viele vor ihnen den Sanierungsprojekten der Reichen und Mächtigen zum Opfer zu fallen, die nichts wollen, als ein paar Quadratmeter billigen Wohnraum. Wir sehen gegnerische Parteien mit sehr kurzer Lunte, eine hohe Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten, die sich dann auch in beide Richtungen entlädt, denn die schwer uniformierten Polizisten teilen nicht nur aus, sondern müssen auch mächtig was einstecken. Ihr Vorgehen gegen die hoffnungslos unterlegenen Hausbesetzer ist natürlich äußerst brutal und fragwürdig, doch was ihnen teilweise von der anderen Seite entgegenschlägt, hat es auch in sich und fordert die Männer bis zum Äußersten. Daniels Tragödie liegt nun darin, dass er keinen Moment und kein Gegenüber findet, um seine große Not zu teilen, sich irgendwo Hilfe und Rückendeckung zu holen, denn er weiß genau, dass seine Kollegen bei aller Kameradschaft und Kumpanei aus einer anderen Welt kommen, und wenn sie ihn fast durchgehend “Schoko“ nenne, mag das in gewissem Rahmen liebevoll und freundschaftlich gemeint sein, doch es zieht genau jene Trennungslinie, die es Daniel unmöglich macht, sich jemandem anzuvertrauen. Noch schwerer aber wiegt es für ihn, dass sich seine Mutter mehrmals dezidiert für den Bruder entscheidet, und seinem, Daniels Bitten und Angebote ausschlägt. Indem er sich dafür entschieden hat, ein Polizist in Rom zu werden und damit ein Vertreter der verhassten Staatsmacht, hat er sich praktisch unwiderruflich von seiner Familie losgesagt, und am Ende steht er hilflos vor einer schweren Entscheidung, die er offensichtlich nicht selbst bewältigen kann, und so kommt es zu der verhängnisvollen Eskalation.
Ein beeindruckend präsenter, kompakter, ausdrucksvoller Film, mitten aus unserer europäischen Gegenwart, mit Leichtigkeit von Italien auf andere Länder übertragbar und in seiner Aussage und Botschaft ziemlich universell. Der bittere, ernüchternde Ausgang erscheint angesichts der überall erdrückend scheinenden Probleme und Konflikte allzu realistisch, und über die private Ebene hinaus sehe ich hier noch einmal einen Appell an alle, sich der drohenden sozialen und politischen Schieflage in unseren angeblich zivilisierten Ländern bewusst zu werden und etwas gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu unternehmen. Ein frommer Wunsch, und der darf auch ruhig mal ausgesprochen werden…» (17.11.)