Miraklet i Gullspång (Das Gullspång Geheimnis) von Maria Fredriksson. Schweden/Norwegen/ Dänemark, 2023.

   Es beginnt vollkommen unspektakulär und harmlos. Zwei Schwestern schauen sich eine Wohnung an, sehen drei Bilder an der Wand, haben plötzlich eine merkwürdige Vision und lernen die Besitzerin der Wohnung kennen. Die sieht genau aus wie ihre Zwillingsschwester, die sich vor vielen Jahren umgebracht hat. Von nun an entwickelt sich eine ebenso rasante wie skurrile, spannende und letztlich vor allem total undurchsichtige Achterbahnfahrt, abwechselnd Familiendrama und Kriminalstory auf mehreren zeitlichen und inhaltlichen Ebenen. Zunächst scheint die Geschichte noch halbwegs überschaubar zu sein: Die Zwillingsschwestern wurden 1941 im besetzten Norwegen bei der Geburt getrennt, eines der Mädchen einer Pflegefamilie übergeben aus Angst vor den Nazis und ihren Menschenversuchen. Ein Gentest scheint dies zu bestätigen: Orlaug ist die leibliche Schwester der verstorbenen Lita und zugleich die Halbschwester von May und Kari. Sie reist nach Nordnorwegen, lernt den restlichen Familienclan kennen, und alles könnte gut sein, wenn nicht langsam aber sicher Sand ins Getriebe dieser scheinbar so harmonischen Familienvereinigung geriete. Erstens zweifelt Orlaug die Selbstmordtheorie an und hat scheinbar recht damit, doch als sie sich noch weiter vorwagt und gar von Mord redet, stößt sie eher auf reserviertes Schweigen. Zweitens geht ihr die Familie, die sie als frömmelnde und schlichte Hinterwäldler erlebt, zunehmend auf den Keks und auch umgekehrt stößt ihre deutlich kühle und etwas herablassende Art auch nicht gerade auf Zustimmung. Von nun an befinden wir uns urplötzlich in einer Abwärtsspirale, die in einem weiteren Gentest gipfelt, der plötzlich ein entgegengesetztes Ergebnis hat und jegliche Verwandtschaft zwischen Orlaug und den anderen ausschließt. Man geht also so abrupt auseinander, wie man einst zusammengefunden hatte, und am Schluss bleiben jede Menge loser Fäden übrig, die ich persönlich mit größter Heiterkeit zur Kenntnis genommen habe.

  Denn der größte Clou dieses wundervoll schrägen und irgendwie einzigartigen Films ist wohl seine Unzuverlässigkeit – was wie ein Dokumentarfilm mit einigen Untiefen wirkt, könnte genauso gut total erfunden sein, denn weder den verschrobenen Protagonistinnen noch der Regisseurin selbst mag ich so recht vertrauen. Die gibt sich überhaupt keine Mühe, das Durcheinander irgendwie zu entwirren und zu sortieren. Kann sein, dass May und Kari einfach nur ihre Geschichte erzählen wollen und dann selbst vom Malstrom der Ereignisse überrollt werden, kann aber auch sein, dass sie alle zusammen dieses herrliche Seemannsgarn zusammengesponnen haben und nun eine gefakte Doku draus machen. Kann aber auch sein, dass dies wirklich eine äußerst komplizierte und komplexe Familiengeschichte ist, voller offener Fragen und Möglichkeiten und ungelöster Rätsel. Verwandt oder nicht verwandt, Mord oder Selbstmord oder nur Unfall, und wie kommt überhaupt dieser zweite Gentest zustande, der dem ersten diametral widerspricht? May und Kai wittern eine List ihrer Halbschwester, die sich ihrer peinlichen Verwandtschaft entledigen möchte – auch eine Möglichkeit. Das fromme Getue des Clans aus dem Norden ist ebenso befremdlich wie Orlaugs Arroganz, und manchmal scheint sich auch Maria Fredriksson einiger satirischer Spitzen nicht enthalten zu können. Und dann wird die arme Regisseurin selbst fast noch von einer herabkrachenden Deckenleuchte erschlagen – ein Wink von oben oder gar Strafe für den leisen Spott? Es scheint buchstäblich alles möglich zu sein, und festlegen tut sich am Ende niemand, die erlösende Wahrheit wird nicht enthüllt, der kleine schwedische Ort Gullspång hütet sein Geheimnis, das irgendwie düstere Schwarzweißbild der jungen Lita, die unter so mysteriösen Umständen verstarb, begleitet uns hinaus.

 

   Man muss vielleicht in der ersten Viertelstunde ein bisschen am Ball bleiben, bis die Erzählung ihren Rhythmus und ihren ganz eigenen Klang gefunden hat, und ein paar der einhundertzehn Minuten hätten vielleicht auch eingespart werden können, trotz allem ist dies ein ebenso ungewöhnliches wie reizvolles und originelles Projekt, komisch und abgründig zugleich, vieldeutig und geheimnisvoll. ˜˜˜˜» (16.9.)