Hors-saison (Zwischen uns das Leben) von Stéphane Brizé. Frankreich, 2023. Guillaume Canet, Alba Rohrwacher, Sharif Andoura, Emmy Boissard Paumelle

   Der französische Originaltitel trifft die Atmosphäre dieses Films perfekt: Über vielen Szenen liegt dieser betörende, unwiderstehliche vernebelte Hauch von Melancholie, die blassen, leicht verschwommenen Farben, dazu die grandiose bretonische Küstenlandschaft und die Wucht des herbstlichen Atlantiks, und ich habe schon einen mehr als guten Grund, zwei Stunden im Kino zu verbringen.

   Die Geschichte dazu ist oberflächlich betrachtet ziemlich einfach. Ein renommierter Filmschauspieler flieht vor seinem ersten Theaterengagement aus Angst, zu versagen, stellt sich vor die Wahl, sich in der Schweiz zu suizidieren oder lieber eine Thalassotherapie in der Bretagne zu ertragen, und offensichtlich hat er sich für Letzteres entschieden. In dem leergefegten Küstenort trifft er auf Alice, von der er sich vor fünfzehn Jahren trennte, und die seit einigen Jahren mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter hier lebt. In ihren Gesprächen wird schnell deutlich, dass sie mit dieser alten Beziehung noch nicht abgeschlossen hat und noch immer an damals erlittenen Verletzungen arbeitet. Dennoch kommen sich die beiden schnell näher und verbringen auch eine Nacht zusammen, und eine Zeitlang scheinen sich beide nicht im Klaren darüber zu sein, ob und wie es nun weitergehen soll. Am Ende fährt er dann doch wieder nach Hause, und sie nimmt ihm das Versprechen ab, dass er niemals wieder hierher zurückkommen wird.

 

   Brizé nimmt sich wie schon gesagt fast zwei Stunden Zeit, lässt die Bilder und Momente atmen und wirken, und das ist sehr schön und gibt dem Film eine in Europa leider sehr seltene, fast meditative Ruhe, die perfekt zu dem Nachsaison-Flair insgesamt passt. Ich sage das eigentlich selten, aber dieses eine Mal habe ich mir zwischendurch gewünscht, er hätte sich nicht ganz so viel Zeit genommen, oder die Zeit vielleicht ein wenig anders genutzt - bei aller Sympathie für die alte Dame, die Alice von ihrer lange unterdrückten Liebe zu einer Frau berichtet, muss ich dennoch gestehen, dass ich an dieser Episode wenig interessiert war und viel lieber noch etwas mehr über die gemeinsame Zeit von Alice und Mathieu erfahren hätte. Ebenso gern hätte ich allerdings einfach fünf Minuten weniger Laufzeit in Kauf genommen. Bei den beiden Vogelstimmenimitatoren auf der Hochzeitsfeier der bewussten beiden alten Damen ist es mir ähnlich ergangen, fand sie zwar irgendwie ganz skurril und charmant, habe diese erneut recht ausgedehnte Szene aber auch eher als unwillkommenen Umweg empfunden. Ansonsten hält Brizé eine sehr geschickte und spannende Balance - einerseits wollen wir mehr erfahren über die Ursachen für Alices starke emotionale Reaktionen, andererseits ist es ganz reizvoll, dass eben nicht alles ausgeleuchtet und für uns verzehrfertig angerichtet wird und ich über das Ende des Films hinaus durchaus noch ein bisschen damit beschäftigt bin, darüber zu spekulieren, was genau die arme Alice durch den nach Künstlerart einfach recht selbstbezogenen Mathieu erlitten haben mag. Das tolle, sehr nuancenreiche Zusammenspiel von Guillaume Canet und Alba Rohrwacher eröffnet viele Möglichkeiten, und ihre gemeinsamen Szenen bilden natürlich den Kern dieser Geschichte, die in vielen Momenten stark und effektvoll ist, unterstützt wie gesagt durch die eindrucksvolle optische Gestaltung, und all das hätte mir noch viel besser gefallen, wenn da nicht diese erwähnten Hänger in der Dramaturgie wären, die den Gesamteindruck leider ein wenig trüben – aber letztlich auch nicht allzu sehr…˜˜˜˜ (6.5.)